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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

einem Worte von zwei verschiedenen Dingen die Rede, von denen das eine der göttliche Logos, das andere aber der dem Logos übergeordnete Gott ist. 66 Wer nämlich, von der Weisheit geleitet, an den ersten Ort kommt, findet als Gipfel und Ende seines Strebens den göttlichen Logos; ist er bei ihm angekommen, so kann er nicht bis zu dem vordringen, der seinem Wesen nach Gott ist, sondern er sieht ihn von ferne; besser gesagt: er ist nicht einmal imstande, ihn selbst von ferne zu schauen, sondern er sieht nur, daß Gott fern von der ganzen Schöpfung ist und daß seine Erkenntnis ganz ferne, jeder Menschenvernunft entzogen ist. 67 Aber vielleicht hat er hier allegorisierend auch gar nicht den Ort auf den Schöpfer bezogen, sondern was er klarmachen will, ist: „Er kam an den Ort, und als er die Augen aufschlug, sah er“, daß der Ort selbst, an den er gekommen war, weit entfernt war von dem unnennbaren, unsagbaren und in jeder Beziehung unerkennbaren Gott. [12] [631 M.] 68 Diese Vorbedingungen sind nun festgestellt; als dann der Tugendbeflissene nach Haran, der Sinnlichkeit, kam, „begegnet er einem Orte“ (1 Mos. 28, 11), weder dem von einem sterblichen Körper angefüllten – denn an ihm haben alle Irdischen teil, da sie einen Raum ausfüllen und irgendeinen Ort einnehmen müssen – noch dem dritten und vornehmsten, von dem sich kaum eine Vorstellung machen kann, wer an dem Brunnen verweilt, der da „Eid“ genannt wird, an dem Isaak, das Symbol der Menschengattung, die alles aus sich selbst lernt,[1] sich aufhält, ohne jemals den Glauben an Gott und die Ahnung des Unsichtbaren[2] preiszugeben, sondern dem mittleren, dem göttlichen Logos, der das Beste rät und das für den Augenblick Zuträgliche lehrt. 69 Denn Gott selbst hält es für unter seiner Würde, zur Sinnlichkeit zu kommen, und schickt seine Logoi den Tugendliebenden zu Hilfe; sie aber behandeln und heilen die Schwächen der Seele dadurch, daß sie heilige Warnungen wie unantastbare Gesetze aufstellen, zu ihrer Übung aufrufen und wie die Lehrer im Ringkampf Tüchtigkeit, Kraft und unwiderstehliche Stärke einflößen. 70 Notwendig also begegnet er, als er zur Sinnlichkeit kam,


  1. Zu dieser Bezeichnung Isaaks vgl. Über Abrah. § 52. Über den Ursprung der Deutung Abrahams als dessen, der die Tugend durch μάθησις, Jakobs als dessen, der sie durch ἄσκησις erwirbt, und Isaak, der sie φύσει besitzt, vgl. Leisegang, Der Heilige Geist 147ff.
  2. [Den handschriftlichen Text möchte ich durch die Lesung: καὶ <τοῦ> ἀφανοῦς ὑπολήψεως verständlicher machen. M. A.]
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/25&oldid=- (Version vom 7.10.2018)