Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/17

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

Farben, Formen, Laute, die Eigenschaften von Düften und Säften, ja überhaupt die Körper und was an Qualitäten in ihnen steckt, übermitteln, und daß sie die Trabanten der Seele sind, die ihr mitteilen, was sie sehen oder hören, und vorausblicken, ob nicht etwas Schädliches von außen herankommt, und auf der Hut sind, daß sich bei der Herrin nicht heimlich etwas mit einschleiche, was Ursache unheilbaren Schadens werden könnte. 28 Auch die Stimme entgeht nicht ganz unserem Unterscheidungsvermögen, sondern wir wissen, daß die eine Stimme hoch, die andere tief, die eine wohlklingend und harmonisch, die andere mißtönend und ganz unharmonisch, die eine stärker, die andere schwächer ist; sie unterscheiden sich auch noch durch sehr vieles andere: durch Klanggeschlechter,[1] Klangfarben, Intervalle, verbundene und getrennte Töne, durch die Symphonien der Quarten, Quinten und Oktaven. 29 Doch auch an der artikulierten Stimme, die allein unter allen Wesen der Mensch erhielt, gibt es Eigenschaften, die wir erkennen, wie zum Beispiel, daß sie von der Vernunft ausgeht, daß sie im Munde artikuliert wird, daß die Zunge, die Luft anschlagend,[2] dem Ton der Stimme die Artikulation einprägt und so die sinnvolle Rede (Logos), nicht etwa nur den nackten, [625 M.] rohen Laut und den ungegliederten Schall, hervorbringt, daß sie im Verhältnis zu dem dahinterstehenden Sinn die Stelle eines Herolds oder Dolmetschers einnimmt. [6] 30 Ist nun auch das Vierte, was in uns selbst liegt, der leitende Geist, faßbar? Doch wohl nicht! Denn was meinen wir, daß er seinem Wesen nach sei? Soll man ihn einen Hauch oder Blut oder überhaupt einen Körper oder aber keinen Körper, sondern etwas Unkörperliches nennen, oder eine Grenze, eine Idee, eine Zahl, eine Entelechie, eine Harmonie, oder was sonst?[3] 31 Gehört er aber zu dem, was bei der Zeugung entsteht, so fragt es sich alsbald, ob er von außen in den Körper hereinkommt oder ob die warme Natur in uns von der sie umgebenden Luft, wie glühendes Eisen im kalten Wasser des Schmiedes, aufs kräftigste gestählt wird?[4] Weshalb


  1. Vgl. hierzu Über die Weltschöpfung § 48 Anmerkung. Über die Nachkommen Kains § 103 Anmerkung.
  2. Vgl. Über die Unveränderlichkeit Gottes § 84 und die Anmerkung dazu.
  3. Die Bezeichnung der Seele als Grenze ist spätplatonisch, als Idee peripatetisch, vielleicht auch posidonianisch, als Zahl und Harmonie pythagoreisch, als Entelechie aristotelisch. Nachweise der Stellen bei Wendland a. a. O. 1077.
  4. Diese Theorie ist stoisch, vgl. Plutarch, Stoic. rep. cap. 41, 1053. Hippol. I 21, dazu Stein, Psychologie der Stoa I 114.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/17&oldid=- (Version vom 7.10.2018)