Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler | |
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aller Seelenteile[1] zu dem Zwecke, die größte zusammenhaltende Kraft in der Welt zu erschüttern: die Herrschaft. 285 Deshalb schlägt, die da hofften, mit ihren Gedanken bis in den Himmel hinaufzustürmen zur Vernichtung der ewigen Königsherrschaft, die gewaltige und unbezwingbare Hand nieder, dabei auch die aufgebaute Lehre mitzerschlagend. 286 Es wird aber der Ort[2] „Verwirrung“ genannt, ein zu dem umstürzenden Wagnisse passender Name. Denn was ist verwirrender als die Anarchie? Sind nicht die Häuser, wenn sie nicht unter Aufsicht stehen, voll von Mißständen und Unruhe? Gehen nicht die Städte, wenn sie keinen König haben, durch die Pöbelherrschaft, die Ursache der größten Übeltaten,[3] zugrunde? 287 Und verloren nicht Länder, Völker und Erdteile, deren Regierungen gestürzt wurden, ihren früheren großen Wohlstand? 288 Und was braucht man [697 M.] von menschlichen Verhältnissen zu reden? Denn auch die anderen Scharen von Lebewesen, von Vögeln, Land- und Wassertieren bestehen ohne irgendeinen Herdenführer nicht, sondern sie verlangen nach ihrem eigenen Führer und sind immer um ihn herum, als wäre er die einzige Ursache ihrer Güter, bei dessen Abwesenheit sie zerstreut und vernichtet werden. 289 Glauben wir demnach, daß für die irdischen Wesen, die der kleinste Teil des Weltalls sind, die Beherrschung die Ursache von Gütern, die Anarchie aber die von Übeln sei, die Welt aber nicht durch die Leitung des herrschenden Gottes mit höchstem Glücke erfüllt ist? 290 Sie erleiden nun die zu dem, was sie angerichtet haben,[4] passende Strafe. Die nämlich, die die heilige Lehre in Unordnung brachten, erfuhren, daß sie von der Anarchie in Unordnung gebracht wurden,[5] indem sie verwirrt wurden, ohne noch Verwirrung angerichtet zu haben. Solange sie aber noch keine Strafe erhalten haben, ziehen sie, von ihrem Wahnsinn aufgeblasen, die Regierung des Alls mit unheiligen Worten herab, geben sich selbst als Herrscher und Könige aus und schieben die unzerstörbare Macht Gottes der Schöpfung zu, die sich beständig im Zustand des Untergangs und der Vernichtung befindet. [44] 291 Übertreibend und prahlend
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/113&oldid=- (Version vom 6.1.2019)