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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

bald schwer fließen, nachlassend und versiegend. 239 Sie bringen gewiß beide Nutzen, der Fluß dadurch, daß er die Fluren, die Rede dadurch, daß sie die Seelen der Hörfreudigen tränkt, aber es kommt auch vor, daß sie schaden, wenn sie überschäumen, der Fluß, wenn er den angrenzenden Acker überschwemmt, die Rede, wenn sie den Verstand der Unaufmerksamen verwirrt und in Unordnung gebracht hat. So gleicht die Rede einem Flusse.[1] 240 Das Wesen der Rede aber ist ein zweifaches: ein besseres und ein schlechteres; das bessere ist das Nutzen bringende, das schlechtere aber notwendigerweise das Schaden bringende. 241 Sehr deutliche Beispiele aber für jedes von beiden hat Moses denen, die sehen können, gegeben. „Ein Fluß“, sagt er nämlich, „geht von Eden aus, den Garten zu tränken; von dort scheidet er sich in vier Ursprünge“ (1 Mos. 2, 10).[2] 242 Er nennt aber die Weisheit des Seienden Eden, das bedeutet „froher Genuß“,[3] weil, glaube ich, sowohl die Weisheit Gottes Ergötzen wie auch Gott das der Weisheit ist, da ja auch in den Psalmen gesungen wird: „Ergötze dich an Gott“ (Psalm 37, 4).[4] Es kommt aber von der Weisheit wie aus einer Quelle der göttliche Logos einem Flusse gleich herab, auf daß er befeuchte und tränke die olympischen und himmlischen Keime und Gewächse tugendliebender Seelen wie einen Garten. 243 Dieser heilige Logos aber scheidet sich in die vier Ursprünge, das heißt: er teilt sich in die vier Tugenden, deren jede eine Königin ist. Das Sichscheiden in Ursprünge bezieht sich nicht auf örtliche Gebiete, sondern auf die Königsherrschaft,[5] damit er bei der Darstellung der Tugenden sogleich [691 M.] auch den sich ihrer bedienenden Weisen als König in Erscheinung treten lasse, der dazu erwählt worden ist nicht von Menschen, sondern von dem untrüglichen und unbestechlichen und allein freien Wesen. 244 Es sagen nämlich zu Abraham die, die an ihm die Weisheit bemerkten: „Ein König von Gott bist du unter uns“ (1 Mos. 23, 6).[6] womit sie für die sich mit Philosophie Beschäftigenden den Lehrsatz aufstellen,


  1. Nach Wendlands Konjektur οὕτως für οὗτος mit Hinzufügung von λόγος nach Mangeys Vorschlag.
  2. Vgl. hierzu und zum folgenden All. Erkl. I § 63ff., Über die Nachkommen Kains § 128ff.
  3. Vgl. All. Erkl. I § 45 und Anm. 2.
  4. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 38.
  5. Philo benutzt hier den im Deutschen nicht nachahmbaren Doppelsinn von ἀρχαί (Anfänge und Herrschaften) wie auch All. Erkl. I § 65.
  6. Vgl. Über die Namensänderung § 152, Über Abraham § 261.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/105&oldid=- (Version vom 7.1.2019)