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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn

werden. Der Same ist bekanntlich der Ursprung des Werdens der Lebewesen; dieser ist, wie der Augenschein lehrt, etwas Geringfügiges, er gleicht dem Schaume. Aber sobald er in den Mutterschoss gelangt und sich dort festsetzt, erlangt er sogleich Bewegung und verwandelt sich in organische Natur. Organische Natur aber ist ein Höheres als der Same, da ja Bewegung besser ist als Ruhe in den Geschöpfen. Die Natur aber bildet wie ein Künstler oder richtiger gesagt wie die tadellose Kunst selbst das tierische Leben, indem sie die feuchte Substanz auf die Glieder und Teile des Körpers verteilt und die geistige auf die beiden Kräfte der (tierischen) Seele, die nährende und die empfindende (denn die Denkkraft ist hier bei Seite zu lassen, da manche behaupten, dass sie von aussen hineinkommt, weil sie göttlich und ewig ist). 68 Die Natur beginnt also mit dem geringfügigen Samen und endet mit dem Höchsten, dem vollendeten Bau des Tieres und des Menschen. Ganz dasselbe geschah auch bei der Entstehung des Weltganzen: als es dem Schöpfer gefiel, Lebewesen zu schaffen, kamen in richtiger Ordnung zuerst die unbedeutendsten, die Fische, und zuletzt die besten, die Menschen; die andern aber, nämlich die Landtiere und das Geflügel, stehen in der Mitte zwischen jenen, sie sind besser als die ersten und geringer als die an zweiter Stelle genannten,

[23.] 69 Nach allen anderen Geschöpfen also ist, wie gesagt, der Mensch geschaffen worden, und zwar, wie es heisst, „nach dem Bilde Gottes und nach seiner Aehnlichkeit“ (1 Mos. 1,26). Sehr richtig; denn kein erdgeborenes Wesen ist Gott so ähnlich wie der Mensch. Diese Aehnlichkeit darf man aber nicht in der Eigentümlichkeit des Körpers vermuten; denn weder hat Gott menschliche Gestalt noch ist der menschliche Körper [16 M.] gottähnlich. Jene Ebenbildlichkeit bezieht sich nur auf den Führer der Seele, den Geist; denn nach dem einzigen führenden Geist des Weltalls als Urbild wurde der Geist in jedem einzelnen Menschen gebildet, der also gewissermassen der Gott des Körpers ist, der ihn als göttliches Bild in sich trägt.

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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/28&oldid=- (Version vom 9.9.2019)