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Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt

nicht geschehen darf. Das Befehlen des Notwendigen und das Verbieten des Unstatthaften ist Sache des Gesetzes, sodass der König ohne weiteres das lebendig gewordene Gesetz und andrerseits das Gesetz ein gerechter König ist. 5 Ein König und Gesetzgeber soll aber nicht nur die menschlichen, sondern auch die gottesdienstlichen Dinge mit beaufsichtigen; denn ohne göttlichen Ratschluss haben weder die Unternehmungen von Königen noch die der Untertanen rechten Erfolg. Aus diesem Grunde bedurfte ein solcher Mann der höchsten Priesterwürde, damit er auf Grund tadelloser Opfer und vollkommenen Wissens vom Dienste der Gottheit Abwendung des Bösen und Anteil am Guten für sich und seine Untergebenen von dem gütigen Gotte erflehen konnte, der die Gebete erhört. Denn wie sollte der die Gebete nicht in Erfüllung gehen lassen, der sowohl seinem Wesen nach gütig ist als auch die, die ihn aufrichtig verehren, ganz besonders bevorzugt? 6 Da aber noch sehr viele von den menschlichen und göttlichen Dingen dem Könige sowohl als auch dem Gesetzgeber und dem Oberpriester unbekannt sind – denn er ist ja nichtsdestoweniger ein geschaffenes, sterbliches Wesen, wenn er auch zu so grossem und reichem Glückslos gelangt ist –, so musste ihm notwendigerweise auch die Prophetengabe zuteil werden, um das, was er nicht mit der Vernunft erfassen kann, durch die Fürsorge Gottes zu finden; denn zu den Dingen, für die der Verstand nicht ausreicht, dringt nur der prophetische Geist vor. 7 Herrlich und ganz harmonisch ist die Vereinigung dieser vier Fähigkeiten, die in inniger Verschlingung miteinander gleichsam im Reigen eine der andern Nutzen gewähren und vergelten, ein Bild der jungfräulichen Grazien, die nach dem unverrückbaren Naturgesetz nicht von einander zu trennen sind; von ihnen könnte man mit Recht sagen, was auch von den Tugenden gesagt zu werden pflegt, dass, wer eine besitzt, auch alle besitze [1].


  1. Vgl. Cic. de offic. II 10,35: cum inter omnes philosophos constet ... qui unam haberet, omnes habere virtutes. Nach Gomperz, Gr. Denker I, 254 eine echt Sokratische Lehre; vgl. Plat. Protag. p. 329e ἐάνπερ τις ἓν λάβῃ, ἅπαντα ἔχειν. Stoischer Grundsatz nach Stobaeus Ecl. II, 110 und Diog. La. VII 125 τὸν γὰρ μίαν ἔχοντα πάσας ρετὰς ἔχειν..
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Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloMos2GermanBadt.djvu/002&oldid=- (Version vom 1.8.2018)