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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Geisteskrankheiten, Schwachsinn, ferner infolge von Torheit, Ungerechtigkeit und ähnlicher Tyrannenwillkür schwerer, arger Umsturz und nicht zu stürzende Gewaltherrschaft.[1] 285 „Mit Frieden genährt“ ist also einer, der ein ruhiges, friedliches, wahrhaft glückseliges Leben erlangt hat. Wann aber wird ein solches vorhanden sein? Wenn unser äußeres (Befinden) in Wohlstand und Ruhm, das körperliche in Gesundheit und Stärke, das seelische in dem Genuß der Tugenden guten Fortgang hat.[2] 286 Denn ein jegliches bedarf einer ihm entsprechenden Leibwache. Die Leibwache des Körpers ist: Ansehen, Überfluß, großer Reichtum; die der Seele: Unversehrtheit und vollständiges Wohlbefinden des Körpers; die des Geistes: die Grundsätze der Wissenschaften. Denn daß nicht an den Frieden gedacht ist, den die Staaten haben, das ist den Lesern der heiligen Schriften klar. Hat doch Abraham große und schwere Kämpfe unternommen, aus denen er siegreich hervorgeht (1 Mos. 14, 14–16). 287 Und sicherlich wäre das Verlassen des Vaterlandes für einen, der auswandert und sich nicht wieder häuslich niederlassen kann, der bald hierhin bald dorthin verschlagen wird und auf öden, noch unbetretenen Wegen herumirrt, wenn er nicht auf göttliche Befehle und Offenbarungen vertraute, ein schwerer Kampf. Aber er mußte ja zum Überfluß noch ein drittes fürchterliches Übel erdulden, die Hungersnot (1 Mos. 12, 10), ein Übel, schlimmer als Auswanderung und Kampf. 288 Was für einen Frieden hatte er also? Denn auswandern, unstät sein, unwiderstehlichen Heereskräften von Königen sich entgegenstellen und von Hungersnot geplagt werden, scheint meines Erachtens nicht auf einen, sondern auf viele und mannigfaltige Kämpfe hinzuweisen. 289 Aber bei allegorischer Erklärung wird jeder Kampf ein Beweis ungetrübten Friedens.[3] Denn Mangel an Leidenschaften [p. 515 M.] und ihre Entbehrung, die Bewältigung feindseliger Bedrückungen und die Auswanderung von dem chaldäischen Glauben zu dem Gott

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/75&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Natürlich bildlich. Denn Philo unterscheidet, wie sehr oft (z. B. § 244) äußere und innere Kriege und redet hier von letzteren.
  2. Philo teilt die Glücksgüter und ihre Gegensätze in äußere und innere, die letzteren in körperliche und seelische, vgl. Über Abraham § 219 u. Anm., Über Joseph § 130, Über d. Nachk. Kains § 112 u. Anm. Mit der ausschließlichen Wertung der geistig-sittlichen Güter, die die Stoa lehrte, ist sein Gedanke nicht vereinbar.
  3. Bezeichnenderweise merkt Philo nicht, daß die Allegorisierung dem Schlusse des § 286, Abrahams „Friede“ könne nur ein innerer gewesen sein, den Boden entzieht.