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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

der Seele eines jeden betrachtet, die nicht auferziehungswürdigen verwirft,[1] dagegen die tauglichen behält und der geeigneten Fürsorge würdigt. 248 Die Philosophenschulen sind voller Mißklang geworden, da die Wahrheit den leichtgläubigen und vorschnell urteilenden Geist flieht. Denn die Schwierigkeit, die Wahrheit zu finden und zu fassen, hat meines Erachtens die wissenschaftlichen Zänkereien erzeugt.

[51] 249 „Gegen Sonnenuntergang“, heißt es weiter, „fiel eine Ekstase (Außersichsein) auf Abraham, und siehe, Furcht, finstere, große fällt über ihn“ (1 Mos. 15, 12). Ekstase[2] ist erstens eine unsinnige Wut, die zur Narrheit führt, sei es infolge des Alters oder aus Trübsinn oder aus einem anderen ähnlichen Grunde; zweitens heftige Bestürzung über plötzliche und unerwartete [p. 509 M.] Ereignisse; drittens Stille des Geistes, wenn er sich eben der Ruhe hingibt; die vierte und allerbeste aber ist die gottvolle Ergriffenheit und Begeisterung, die den Propheten eignet. 250 Der ersten Art geschieht Erwähnung bei den im Gesetzesanhang[3] verzeichneten Flüchen – Lähmung, heißt es da, und Blindheit und „Ekstase“ des Geistes werden die Gottlosen treffen, so daß sie sich nicht von den Blinden unterscheiden werden, die am Mittag herumtappen wie in tiefer Finsternis (5 Mos. 28, 28. 29); – 251 der zweiten Art häufig, z. B. (1 Mos. 27, 33): „Isaak geriet in eine große Ekstase[4] und sprach: Wer ist es denn, der mir ein Wildbret erjagte und es mir brachte? Und ich aß von allem, bevor du kamst, und segnete ihn, und gesegnet soll er sein“. Ferner heißt es (1 Mos. 45, 26) bei Jakob, als er der Nachricht, „Joseph lebt und herrscht über das ganze Land Ägypten“ nicht traute: „Er geriet außer sich[5] in seinem Geiste, denn er glaubte ihnen nicht.“ Und im Buche von dem Auszug (2 Mos. 19, 18) wird von der Volksversammlung berichtet: „Denn der ganze

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/67&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Mit beachtenswerter Naivität setzt hier Philo die griechische Sitte, schwächliche Kinder umkommen zu lassen, voraus, während er sie Über die Einzelges. III 110ff. scharf verurteilt.
  2. Über Ekstase vgl. Bréhier S. 196ff., Leisegang, d. h. Geist. I, 209ff., Heinemann, MGWJ. 64, 16ff.
  3. Das 5. B. Mos. nennt Philo nicht Δευτερονόμιον sondern Ἐπινομίς nach dem Vorgang Platos, der eine so betitelte Schrift als Nachtrag zu seinen Νόμοι, schrieb.
  4. Im Urtext: Jsaak „erschrak“.
  5. Auch hier steht im Urtext ein anderer Ausdruck, nämlich: Sein Herz blieb starr, eig. es hörte auf (zu schlagen).