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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

schätzt[1] Moses alle Kriechtiere, die hochspringen können, gar sehr; sagt er doch: „Diese dürft ihr essen von den beflügelten Kriechtieren, die auf vieren gehen, die oberhalb der Füße Schenkel haben, so daß sie mit ihnen von der Erde emporhüpfen“ (3 Mos. 11, 21). Sie sind die Symbole für alle Seelen, die nach Art der Kriechtiere in dem irdischen Körper wurzeln, aber geläutert[2] in die Höhen emporsteigen können und für die Erde den Himmel eintauschen und Unsterblichkeit für Vernichtung. 240 Von höchster Unseligkeit[3] betroffen müssen uns demnach diejenigen (Seelen) erscheinen, die, obwohl in der Luft und im reinsten Äther ernährt, zur Erde, der Stätte der Sterblichen und Schlechten, hinabwanderten, weil sie nicht imstande waren, die Überfülle göttlicher Güter [p. 507 M.] zu ertragen. – Es kommen aber über unzählige Dinge teils absichtlich, teils aus Unwissenheit unzählig viele Gedanken hinzu, die sich in nichts von den Gefiederten unterscheiden und denen die Schrift die herabsteigenden Vögel gleichstellt. 241 Aber die aufwärts strebende Schar der Gedanken bekommt den besseren Rang, da die Tugend sie begleitet und zum göttlichen und himmlischen Chor führt, dagegen die abwärts strebende den schlechtern, da die Schlechtigkeit sie führt und mit Gewalt nach entgegengesetzter Richtung zerrt. Es deuten aber schon die Namen nicht übel auf den örtlichen Gegensatz hin. Denn „Tugend“ heißt ἀρετή, und dies Wort ist nicht nur von αἵρεσις (Wählen) abzuleiten, sondern auch von ἄρσις (Hebung) – denn sie hebt sich, schwingt sich empor wegen ihres beständigen Verlangens nach den Erhabenen – die Schlechtigkeit aber heißt κακία, weil diejenigen, die sie besitzen, gezwungen werden abwärts (κάτω) zu gehen und niederzufallen. 242 Die herbeifliegenden, hinzustürmenden feindlichen Gedanken der Seele gehen selbst nieder, drücken aber auch die Vernunft jammervoll nieder, da die Körper und Sachen, auf die sie sich stürzen, sinnliche und nicht geistige, unvollkommene und nicht vollkommene, tote und nicht die lebendigen sind. Ja, nicht nur über Körper, sondern auch über Stücke entzweigeschnittener Körper fallen sie her; für die so geteilten ist es aber eine Unmöglichkeit,

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/64&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Das Lob gründet sich darauf, daß diese Tiere als rein bezeichnet und zum Genusse erlaubt werden. Vgl. Über d. Einzelges. IV § 100ff.
  2. Vgl. § 184, 274, 276. Aus dem folgenden § 240 ergibt sich, daß auch manche Seelen zur Strafe und Läuterung in menschliche Körper hinabgesandt werden.
  3. Für βαρυδαιμονία gilt das (zu § 179) über κακοδαιμονία Bemerkte.