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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

wertvoll; deshalb ließ er alle in gleicher Weise an derselben Meisterschaft teilhaben. Darum heißt es auch in der heiligen Schrift: „Gott sah alles was er gemacht hatte, und siehe, (es war) sehr schön“ (1 Mos. 1, 31); die Dinge aber, die ebendasselbe Lob bekommen, sind in den Augen des Lobenden durchaus gleichgeschätzt. 160 Gott lobte aber nicht die bearbeitete Materie, die unbeseelt, mangelhaft, auflöslich, außerdem an sich vergänglich, uneben und ungleichmäßig ist, sondern seine eigenen, gemäß einer einheitlichen, gleichmäßigen Kraft und Weisheit vollendeten Kunstwerke. Deshalb hat man gemeint, daß alle Dinge sowohl nach den Regeln der Proportion, als auch auf Grund der (göttlichen) Meisterschaft und Weisheit einander ganz gleich sind.

[33] 161 Wenn irgendeiner, so ist Moses der Lobredner der Gleichheit, da er doch zuerst immer und überall die Gerechtigkeit preist, deren Eigentümlichkeit es ist – wie es doch auch der Name selbst besagt[1] – die Körper und die Sachen in zwei gleiche Teile zu zerlegen, und dann die Ungerechtigkeit, die Schöpferin der verhaßtesten Ungleichheit, tadelt. 162 Ungleichheit erzeugt die beiden Kriege, den äußeren und den inneren, die Gleichheit dagegen den Frieden.[2] Am klarsten hat er das Lob der Gerechtigkeit und den Tadel der Ungerechtigkeit ausgesprochen in den Worten: „Ihr sollt nicht unrecht tun im Gerichte, mit Maß, Gewicht und Wage; richtige Wage, richtiges Gewicht, richtiges Längen- und Hohlmaß sollte ihr haben“ (3 Mos. 19, 35. 36), und im Nachtrag[3] zu den Gesetzen: „Nicht soll in deinem Beutel sein zweierlei Gewicht, ein großes und ein kleines; nicht soll in deinem Hause sein zweierlei Maß, ein großes und ein kleines; volles und richtiges Gewicht sollst du haben, damit du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr dein Gott zum Erbbesitz gibt; denn ein Greuel ist dem Herrn jeder, der solches tut, jeder, der unrecht tut“ (5 Mos. 25, 13–16). 163 Der Gerechtigkeit liebende Gott verabscheut und haßt also die Ungerechtigkeit, die Veranlassung zu Aufruhr und Schlechtigkeiten. Wo aber lobt der Gesetzgeber nicht die Gleichheit, die Nährmutter der Gerechtigkeit?[4]

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/46&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Philo meint, daß δικαιοσύνη mit δίχα zusammenhängt. Zur Sache vgl. die Anm. zu § 143 u. 159.
  2. Vgl. d. Einzelges. II § 190.
  3. S. Anm. zu § 250.
  4. Das Fragezeichen ist vielleicht – trotz der nachträglichen Stellung von γάρ – nach ἀποδέχεται zu setzen.