Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/37

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

überhaupt[1] jedes, was den Mutterschoß eröffnet vom Menschen – dem Denken und der Sprache – bis zum Vieh – der Sinneskraft und dem Körper. 119 Denn was den Mutterschoß der genannten Dinge eröffnet, den des Geistes für die geistigen Begriffe, den des Sprachvermögens für die Äußerungen mittels der Stimme, den der Sinne für die ihnen von den Objekten zukommenden Vorstellungen und den des Körpers für die ihm eigentümlichen Zustände und Bewegungen: das ist die unsichtbare, schaffende, gestaltende göttliche Weisheit,[2] die gebührenderweise dem „Vater“ zugehört. 120 Und wie die Anfänge, so sind auch die Enden Gottes Werk. Zeuge dessen ist Moses, der (4 Mos. 31, 28ff.) das „Ende“[3] abzusondern und Gott zu bewilligen befiehlt. Das bezeugen aber auch die Dinge in der Welt. Wieso? 121 Der Anfang einer Pflanze ist der Same, das Ende die Frucht; beides ist nicht das Werk des Landbaues sondern das der Natur. Ferner ist die Natur der Anfang der Wissenschaft, [p. 490 M.] wie gezeigt wurde;[4] aber auch das Endziel liegt nicht im Bereich des Menschen. Denn vollendet[5] ist niemand in irgendeiner Sache; in Wahrheit kommen die Vollendungen und äußersten Endpunkte nur dem Einen allein zu. Somit bewegen wir uns in der Mitte zwischen dem Endziel und dem Anfang, lernend und lehrend, Ackerbau und jedes andere Handwerk betreibend, wie wenn wir uns anstrengten, damit es scheine, als ob auch ein Geschöpf etwas schaffen könnte. 122 Deutlicher bringt die Schrift Anfang und Ende mit Gott in Beziehung bei der Schöpfung der Welt: „Im Anfang schuf Gott (1 Mos. 1, 1) und weiter: „Er vollendete den Himmel und die Erde“ (1 Mos. 2, 1). 123  – Hier sagt er also: „Nehmet mir“ (2 Mos. 25, 2), indem er das, was ihm gebührt, hingibt und das Gegebene nicht zu verfälschen, sondern auf eine des Gebers würdige Weise zu hüten mahnt; dagegen wird er an anderen Stellen, obwohl er nichts nötig hat und deshalb nichts nimmt, desungeachtet, um zur Frömmigkeit anzueifern,

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/37&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. Ich übersetze nach der Lesart des Venetus H.: καὶ εἴ τι συνόλως μ. διοιγνύει. Die Lesart des Papyrus: καὶ εἴ τις καὶ συνόλως μ. διοιγνύειν gibt nur dann einen Sinn, wenn man mit L. Cohn das zweite καὶ in ἱκανὸς oder mit Wendland ὃς οἶός τε für καὶ εἴ τις liest.
  2. Der Logos; vgl. die Einleitung zum I. Bd. S. 16.
  3. Das Wort τέλος, das an dieser Stelle „Zollabgabe“ bedeutet, faßt Philo im eigentlichen Sinne.
  4. § 116.
  5. τέλειος (vollkommen, vollendet) ist der, der das Endziel (τέλος) erreicht hat.