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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Sinne, die in der heiligen Schrift sinnbildlich Kalb, Widder und Ziege[1] genannt sind (1 Mos. 15, 9). Diese unterschlagen manche sofort (nach Empfang) aus Selbstliebe, andere verwalten sie zu pünktlichster Ablieferung. 107 Die Zahl jener, die unterschlagen, ist unmöglich festzustellen; denn wer von uns behauptet nicht, daß Seele, Sinne und Sprache – dies alles insgesamt sein Eigentum sei, da es seiner Meinung nach nur von ihm allein abhänge, mit den Sinnen wahrzunehmen, zu reden und zu verstehen? 108 Gering ist dagegen die Zahl derer, die das Anvertraute als heilig und unverletzlich in Wahrheit hüten. Diese haben die drei Dinge: Seele, Sinne und Sprache Gott geweiht,[2] denn sie „nahmen“ sie insgesamt nicht „für sich“ sondern „für ihn“ in Empfang, so daß sie ohne weiteres zugestehen, daß deren Wirkungen: die Gedanken des Geistes, die Äußerungen der Sprache und die Vorstellungen der Sinne nach seinem Willen erfolgen. 109 Jene aber, die sie sich selbst zuschreiben, empfingen sie in der Gestalt, wie es ihr Mißgeschick verdient: [p. 488 M.] die Seele hinterlistig, durch unvernünftige Affekte[3] getrübt und von vielen Schlechtigkeiten eingenommen, bald von Gier und Geilheit wie in einem Bordell vergewaltigt, bald von vielen Ungerechtigkeiten wie in einem Gefängnis mit Ruchlosen zusammen eingesperrt, worunter nicht Menschen sondern Taten zu verstehen sind, die nach allgemeinem Urteil strafbar sind; die Sprache frech, geschärft wider die Wahrheit, schädlich für die Zuhörer und schmachbringend für ihre Besitzer, und endlich die Sinne unersättlich – zwar nehmen sie immerwährend das Wahrnehmbare in sich auf, trotzdem können sie wegen ihres unmäßigen Begehrens nicht gesättigt werden – und voll Mißachtung gegen die zur Besonnenheit Mahnenden, so daß sie vorbei sehen und hören und alles, was jene zu ihrem Besten sagen, verschmähen. 110 Diejenigen aber, die nicht für sich, sondern für Gott genommen haben, weihen ihm jedes von diesen Dingen und hüten es als hehr und wahrhaft heilig für den Eigentümer: die Seele, damit sie nur über Gott und seine trefflichen Eigenschaften nachdenke; die Sprache, damit sie mit ungehemmtem

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/34&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. S. weiter § 125ff.
  2. Das hier angewandte ἀνατιθέναι bedeutet nicht nur weihen sondern auch, wie ἀναφέρειν, zuschreiben. So erklärt es sich, daß Philo hier verlangt, Gott als Urheber der Tätigkeiten anzuerkennen und § 110, sie ihm zu widmen (vgl. zu § 74).
  3. Vgl. weiter § 268f. Die stoische Definition von πάθος (Affekt) gibt Philo Über d. Einzelges. IV § 79.