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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

indem sie sehr bedeutsam und treffend mit „Kleid“ auf den Körper, mit „Blut“ auf das im Blut erscheinende Leben hindeutet. 55 Da nämlich Seele in doppeltem Sinn gebraucht wird, sowohl für die ganze Seele als auch für den führenden[1] Teil derselben, der eigentlich „die Seele der Seele“ ist, gleichwie „Auge“ sowohl das ganze kreisförmige Organ als auch den wichtigsten Teil, mit dem wir sehen, bezeichnet, so schien dem Gesetzgeber auch das Wesen der Seele ein zweifaches zu sein, Blut das Wesen der ganzen Seele [p. 481 M.] und ein göttlicher Hauch das ihres vorzüglichsten Teiles. 56 Sagt er doch geradezu: „Die Seele alles Fleisches ist Blut“[2] (3 Mos. 17, 11. 14). Treffend wird jedoch die Strömung des Blutes der Fleischmasse[3] als zueinander gehörig zugeteilt; aber das Wesen des Geistes knüpft er nicht an ein Geschaffenes, sondern läßt es von Gott eingehaucht sein. Er sagt nämlich: „Es blies der Schöpfer des Alls in sein Angesicht einen Hauch des Lebens, und es ward der Mensch zu einer lebenden Seele“ (1 Mos. 2, 7), wobei auch berichtet wird, daß er nach dem Ebenbilde des Schöpfers gebildet wurde.[4] [12] 57 Daher gibt es zwei besondere Arten von Menschen: die eine bilden diejenigen, die durch den göttlichen Hauch, die Vernunft, (wahrhaft) leben, die andere die, die durch das Blut und in Fleischeslust vegetieren.[5] Diese Art ist ein Gebilde der Erde, jene ein getreues Abbild des göttlichen Urbildes.[6] 58 Allein gar sehr bedarf unser Erdenstaub, der kunstvoll gestaltete und mit Blut vermengte, der göttlichen Hilfe. Darum heißt es: „Dieser

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/23&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. Der führende oder herrschende d. i. der vernünftige Seelenteil, ἡ διάνοια s. § 232.
  2. Sept. liest V. 11 דמו‎ statt בדם‎ und läßt in V. 14 בנפשו‎ unübersetzt. Vgl. auch 5 Mos. 23, 12. [Die biblische Lehre, daß die Seele im Blute ist, steht mit der stoischen Anschauung, daß das Prinzip alles Lebens (und Zusammenhalte) im Pneuma, einem warmen, ausdehnungsfähigen Lufthauch, zu suchen sei, in unlöslichem Widerspruch. Über Philos Lösung vgl. Leisegang, Der heil. Geist I 94ff. Sie beruht darauf, daß er den Unterschied zwischen dem „führenden“ (vernunftbegabten) Teil der Seele und der Gesamtseele, den auch die Stoa anerkennt, in Anlehnung an Aristoteles' Unterscheidung der „Seele“ als Lebensprinzips und des „Geistes“ als Denkorgans weiterführt. I. H.]
  3. Da ὄχλος αἰσθήσεων von Philo oft gesagt wird (Leisegang brieflich), hat der von Mangey beanstandete Ausdruck nichts Auffälliges.
  4. Vgl. § 231.
  5. Wir versuchen, wenn auch vielleicht etwas zu scharf, den von Philo beabsichtigten Unterschied zwischen βιοῦν (das gern mit Bezug auf den Lebensinhalt gebraucht wird) und ζῆν wiederzugeben.
  6. Auch zu dieser Lieblingsvorstellung Philos vgl. Leisegang a. a. O.