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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

[8] 40 Wer aber die Masek und wer ihr Sohn ist, muß gründlich untersucht werden. Nun übersetzt man Masek: infolge[1] eines Kusses. „Küssen“ aber ist verschieden von „Lieben“. Dieses bedeutet offenbar eine Vereinigung von Seelen, die in der Zuneigung füreinander übereinstimmen, jenes dagegen anscheinend nur eine oberflächliche, kahle Begrüßung, wenn irgendein Bedürfnis dazu führt. 41 Denn wie in (dem zusammengesetzten Zeitwort) ἀνακύπτειν „emportauchen“ die Bedeutung des (einfachen) κύπτειν „sich bücken“ nicht enthalten ist; wie in καταπίνειν „verschlucken trockener Speisen“ durchaus kein πίνειν „trinken“ und in μάρσιππος „Sack“ kein ἵππος „Pferd“ steckt, so ist auch in καταφιλεῖν „küssen“ nicht die Bedeutung von φιλεῖν „lieben“ enthalten,[2] da manche, den harten Zwangslagen des Lebens nachgebend, auch sehr oft Feinde freundlich begrüßen. 42 Wer nun diejenige ist, die infolge eines Kusses, aber nicht aus aufrichtiger Liebe mit uns verbunden ist, will ich rückhaltslos sagen. Es ist das Leben mit der Sinnlichkeit, die allen fest anhaftet, [p. 479 M.] die jedermann liebt, die die meisten als Herrin, die Weisen aber als Dienerin betrachten, nicht als eine stammesfremde oder um Geld gekaufte, sondern als eine hausgeborene und gewissermaßen als Stammesgenossin.[3] Diese sind auch gewohnt sie zu küssen, doch nicht zu lieben; jene aber pflegen sie über alle Maßen zu lieben und höchst begehrenswert zu finden. 43 Laban aber, der Tugendfeind, wird auch die dem Frommen zuteil gewordenen Kräfte nicht küssen können: er sagt vielmehr, da er sein Leben an Heuchelei und falsche Vorstellungen hängt, scheinbar unwillig, doch ohne wirklich Schmerz zu empfinden: „Ich ward nicht gewürdigt,[4] meine Kinder und Töchter zu küssen“ (1 Mos. 31, 28). Mit Fug und Recht; denn uns wurde gelehrt, die Verstellung unversöhnlich zu hassen. 44 Liebe daher die Tugenden und verehre sie mit deiner Seele; liebe sie in Wahrheit, und du wirst keineswegs geneigt sein, dich der Karrikatur der Liebe zu bedienen, zu küssen. „Haben sie[5] etwa noch Anteil oder Erbe in deinem Hause? Wurden sie nicht von dir wie Fremde betrachtet?

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/19&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. משק‎ = מנשיקה‎ wörtl. „aus einem Kusse“; s. aber § 42.
  2. Das stimmt nicht ganz, denn φιλεῖν (sc. τῷ στόματι) bedeutet auch: küssen (s. § 44) und φίλημα (Kuß) kommt ja von φιλεῖν.
  3. Vgl. Alleg. Erkl. II § 5.
  4. Ebenso Sept. statt der aktiven Form des Urtextes: „du hast mich nicht küssen lassen.“
  5. Nämlich die Töchter Labans, d. h. nach Philos. allegorischer Deutung die Tugenden.