Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/18

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

36 Weiß ich doch, daß du, der du das „Nichtseiende“[1] hervorgebracht und das All geschaffen hast, die kinderlose und unfruchtbare Seele hassest, da du ja die besondere Gnade, niemals unfruchtbar und kinderlos zu sein, dem scharfsichtigen Geschlecht[2] verliehen hast, als dessen Angehöriger auch ich mit Recht mich nach einem Erben sehne. Denn da ich sehe, daß dieses (Geschlecht) selbst unvertilgbar ist, so wäre es, glaub' ich, höchst schimpflich, wenn mein Wesen untergehen und nicht mehr die Schönheit schauen würde. 37 Darum komme ich als Bittender und flehe inbrünstig, daß von den Saaten und glimmenden Feuerkohlen[3] das heilvolle Tugendlicht aufflammen und erstrahlen möge, das wie eine Fackel den aufeinanderfolgenden Geschlechtern voranleuchten soll, solange die Welt besteht. 38 Hast du doch den Frommen das eifrige Verlangen, Kinder der Seele zu zeugen, eingeflößt, und wenn sie deren teilhaftig wurden, riefen sie vor Freude aus: „Das sind die Kinder, mit denen Gott deinen Diener begnadigt hat“ (1 Mos. 33, 5), deren Wärterin und Amme die Unschuld ist, deren Seelen „unberührt, schlicht“[4] und wohlgeartet sind, empfänglich für die schönen und göttlichen Eindrücke der Tugend. 39 Belehre mich aber auch darüber, ob „der Sohn der Masek, meiner hausgeborenen Sklavin“ tauglich ist, deiner Gnadenbeweise Erbe zu werden. Denn ich habe bis jetzt den erhofften Erben nicht bekommen; auf den aber, den ich bekommen habe,[5] setze ich keine Hoffnung.“

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/18&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. τὰ μὴ ὄντα, gewöhnlich im Sing. τὸ μὴ ὄν ist Platos formloser Urstoff, aus dem die Welt entstanden ist, der aber nach Philo nicht von Ewigkeit her existierte, sondern auch von Gott geschaffen wurde. Ausdrücklich sagt er auch All. Erkl. II § 2, daß neben Gott vor der Schöpfung Nichts war. Mit Unrecht bestreiten manche (Soulier, la doctrine du Logos chez Philon S. 22; Aall, der Logos I, 191) daß Philo eine Schöpfung ex nihilo annimmt. Vgl. Festschrift Guttmann S. 24. [Das Verbum φέρων ist nicht befriedigend zu erklären; nach den Parallelstellen braucht Philo für die Schöpfung entweder τὰ μὴ ὄντα ἄγειν (oder παράγειν oder καλεῖν) εἰς (oder πρὸς) τὸ εἶναι oder τὸν κόσμον ἐκ τοῦ μὴ ὄντος εἰς τὸ εἶναι ἀναφαίνειν (V. Mos. II 267); es dürfte also eine schwerere Verderbnis vorliegen. I. H.]
  2. Israel, s. weiter § 78, Über Abraham § 56f. und Anm. 2 das., Über die Unveränderlichkeit G. § 144, Über die Geburt Abels § 120.
  3. Ἐμπύρευμα braucht Philo gern von der Glut, die das Feuer erzeugt; so Über die Opfer Abels § 123 (neben σπέρμα, wie hier); Leben Mosis II 65 (Mitteilung Leisegangs).
  4. Nach Plato, Phädrus 245 a.
  5. Nämlich als Erben, nicht als Sohn. Vgl. dagegen Siegfried, Philo von Alexandria S. 146, der Elieser für einen Sohn Abrahams hält. Das sagt Philo nirgends; es wäre auch unvereinbar mit § 2 u. 61.