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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

da ich Staub und Asche bin“ (1 Mos. 18, 28), denn dann ist die rechte Zeit für das Geschöpf zu seinem Schöpfer hinzutreten, wenn es seine eigene Nichtigkeit erkannt hat. 31 Aber das Wort: „Was wirst du mir geben?“ ist nicht sowohl die Sprache eines Fragenden[1] als vielmehr diejenige eines solchen, der für die große Menge der Wohltaten, die er genossen hat, seinen Dank abstattet. Was willst du mir geben? Bleibt mir denn noch mehr zu erwarten übrig? Überreich sind, ο Freigebiger, deine Gnadenbeweise und unbeschreiblich viel, ohne Grenze und Ende, nach Art der Quellen mehr hinaufsprudelnd als was abgeschöpft wird. 32 Aber wir müssen nicht nur den immer fließenden Strom deiner Wohltaten betrachten, sondern auch unsere (von ihm) bewässerten Felder; denn wenn die Feuchtigkeit übermäßig einströmt, wird das Land sumpfartig und morastig statt fruchttragend sein. Daher bedarf ich einer im Hinblick auf die Förderung des Ertrags abgemessenen, nicht einer maßlosen Befeuchtung. 33 Darum will ich fragen: „Was wirst du mir geben, nachdem du mir unsagbar viel gegeben hast und beinahe alles, was ein sterbliches Wesen aufzunehmen [p. 478 M.] imstande ist? Denn was ich sonst noch zu erfahren und zu erlangen[2] wünsche, ist folgendes: Wer soll deiner Wohltaten würdiger Erbe werden? 34 Oder werde ich kinderlos von hinnen scheiden,[3] nachdem ich ein kurzes, unbeständiges, schnelldahinschwindendes Gut empfangen habe, während ich im Gegenteil ein langdauerndes, unversehrtes und unsterbliches erflehe, um befähigt zu sein Samen auszustreuen, Wurzeln weithin zur Sicherung zu strecken und den emporstrebenden Stamm hinauf zum Himmel zu erheben? 35 Denn die menschliche Tugend muß wohl auf Erden einherschreiten, aber zum Himmel vordringen, um dort alle Zeit im Genusse der Unsterblichkeit, von keinem Leid berührt, zu verharren.

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/17&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. Philo meint, es ist nur eine rhetorische Frage.
  2. Der verheißene Lohn kann nach Philos Auffassung nur die geistige Gabe der Belehrung sein.
  3. Philo macht aus dem Bibelvers eine Frage, da für ihn die Kinderlosigkeit als gottverhaßt (§ 36), als Mangel an Tugenden gilt.