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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

lehren, was du reden [p. 477 M.] sollst“ (2 Mos. 4, 12). Denn wer bin ich, daß du mich reden lehrtest,[1] daß du mir einen Lohn versprichst, ein Gut, köstlicher als Wohltat und Ehrengabe? 26 Bin ich nicht ein aus dem Vaterland Ausgewanderter? Nicht von der Verwandtschaft entfernt, dem Vaterhause entfremdet? Nennen nicht alle den Ausgestoßenen und Verbannten hilflos und ehrlos?[2] 27 Allein du, Gebieter, bist mein Vaterland, meine Verwandtschaft, mein väterlicher Herd, meine Ehre und Freiheit, mein großer gepriesener und unentreißbarer Reichtum. 28 Warum soll ich mich also nicht getrauen[3] zu sagen, was ich denke? Warum soll ich bei meinem Verlangen, etwas mehr zu erfahren, nicht fragen? Doch wenn ich auch sage, daß ich zuversichtlich bin, so muß ich andererseits gestehen, daß ich mich fürchte und betroffen bin; und Furcht und Zuversicht sind nicht in mir, wie man vielleicht vermuten wird, in einem unversöhnlichen Kampfe, sondern in harmonischem Einklang. 29 Unersättlich genieße ich diese innige Verbindung, die mich bestimmt, weder ohne Furcht kühn zu sein, noch ohne Kühnheit mich zu fürchten. Denn ich habe es gelernt, meine eigene Nichtigkeit zu ermessen und die Überfülle deiner Wohltaten zu überschauen; und wenn ich mich als „Staub und Asche“ oder als etwas noch Geringeres fühle, dann erkühne ich mich vor dich hinzutreten, demutsvoll im Staube liegend, beinahe wie in die Elemente aufgelöst, so daß ich nicht mehr zu leben scheine. [7] 30 Diese meine Seelenstimmung hat auch der Seher Moses zum Andenken an mich aufgezeichnet.[4] Denn er sagt: „Abraham trat hin und sprach: Nun[5] habe ich angefangen zu dem Herrn zu reden,

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/16&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. Wörtlich: daß Du mich an der Redefähigkeit teilnehmen läßt.
  2. Philo hält sich (ohne an den Anlaß der Auswanderung Abrahams zu denken!) an den Klang des griechischen Wortes φυγάς, das vor allem den strafweise Verbannten bezeichnet.
  3. Θαρρῶ in gleichem Doppelsinn wie § 24 Ende.
  4. Über die Bibelkenntnis der Patriarchen vgl. Über die Nachst. § 62 u. Anm.
  5. Philo urgiert νῦν und faßt den Satz: „ich bin doch Staub und Asche“ nicht, wie er richtig zu verstehen ist, als konzessiv, sondern temporal mit kausaler Färbung: „Jetzt, nachdem ich meine Nichtigkeit erkannt habe, WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt da ich weiß, daß ich Staub und Asche bin, darf ich wagen, vor dich hinzutreten“. Darum wird der Priester mit Asche und Wasser (מי אפר פרה‎) besprengt, um ihn an seinen Ursprung, die Entstehung des ersten Menschen aus Wasser und Staub, zu erinnern, bevor er ins Heiligtum zur Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten schreitet: Über die Träume I § 210–214. Vgl. auch das. § 60, Über d. Geburt Abels § 55, Über die Einzelges. I § 264ff. Anderes bei Windisch, Frömmigkeit Philos 21.