Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/11

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

nicht der Worte Schönheitsfülle[1] mit der Fähigkeit zu gewandter und stolzer Rede erstrebt. 5 Bewunderungswürdige Tugenden sind aber auch der Wagemut und die Freimütigkeit, wo es nötig ist, gegenüber den Höherstehenden, wie mir auch das Wort des Lustspieldichters eher Wahrheit als Scherz zu enthalten scheint:

„Der Sklave, der zu allem zu schweigen angehalten wird, wird schlecht; gewähre ihm Redefreiheit.“

[2] 6 Wann spricht nun ein Sklave freimütig zu seinem Herrn? Nicht dann, wenn er sich dessen bewußt ist, daß er kein Unrecht beging, [p. 474 M.] sondern in allen Dingen zum Vorteil seines Eigentümers sprach und handelte? 7 Wann darf also auch der Diener Gottes sich freimütig äußern vor Ihm, der sein und des Weltalls Herrscher und Gebieter ist? Nicht dann, wenn er von Sünden rein ist, sich seiner Gottesliebe bewußt ist und sich mehr darüber freut, ein Diener Gottes zu sein, als wenn er König über das ganze Menschengeschlecht geworden wäre und mühelos die Herrschaft zu Wasser und zu Lande erlangt hätte? 8 Von Abrahams aus Gottesliebe vollbrachten Taten und Leistungen aber spricht deutlich der Schlußsatz des göttlichen Wortes, das an seinen Sohn ergangen ist: „Ich werde dir und deiner Nachkommenschaft dieses ganze Land[2] geben, und durch deine Nachkommenschaft werden alle Völker der Erde gesegnet werden, dafür, daß dein Vater Abraham auf meine Stimme gehört und meine Befehle und Gebote, meine Rechte und Gesetze beobachtet hat“ (1 Mos. 26, 3–5). 9 Es ist aber das höchste Lob für einen Diener, daß er nichts von dem außer acht läßt, was ihm sein Herr befohlen hat, sondern unverdrossen und arbeitsfreudig über seine Kraft hinaus sich bemüht, alles mit gehöriger Überlegung gut zu vollbringen. [3] 10 Nun gibt es aber welche, denen zu hören, aber nicht zu reden geziemt, für die gesagt ist: „Schweige und höre“ (5 Mos. 27, 9). Eine

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/11&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. ἐπάλληλα κάλλη eig. dicht gedrängt hintereinanderfolgende gehäufte Schönheiten.
  2. Vgl. Quaest. in Gen. IV § 182, wo Philo πᾶσαν τὴν γῆν allegorisch als „die ganze Erde“ erklärt.