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Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang

dich zu sich ruft, kehre dich ab, wende dein Auge herum und sieh die echte Schönheit der Tugend an[1] und verweile bei ihrem Anblick, bis ein Verlangen sich in dir festsetzt und wie ein Magnet dich heranzieht und dich dicht an die ersehnte heranführt und anhängt. [11] 45 Das (Wort): „Ich, [269 M.] der Herr“, ist nicht nur in dem gleichen Sinne zu verstehen wie: „Ich, das vollkommene und unvergängliche und wahre Gut“, von dem sich einer, der sich an das unvollkommene und vergängliche und am Fleische haftende hält, abwenden wird, sondern (es steht) auch an Stelle (des Satzes): „Ich bin der Herrscher und König und Herr.“ 46 Weder aber für Untertanen ist es, wenn Führer, noch für Sklaven, wenn Herren da sind, gefahrlos, Unrecht zu tun. Denn wenn die Zuchtmeister in der Nähe sind, benehmen sich die, welche nicht gewöhnt sind, sich von selbst zurechtzuweisen, aus Furcht vernünftig.[2] 47 Da nämlich Gott alles ausfüllt,[3] ist er nahe, so daß wir, weil er zusieht und in der Nähe ist, uns gar sehr schämen, jedenfalls aber doch hüten vor seiner unbewegbaren, furchtbaren und in den Strafen unerbittlichen Herrschergewalt und, wenn er seine strafende Kraft[4] zu gebrauchen gedachte, zu sündigen aufhören wollen, damit auch der göttliche Geist der Weisheit nicht leicht entweiche und davongehe, sondern eine lange Zeit bei uns bleibe, wie auch bei Moses, dem Weisen. 48 Denn dieser bediente sich der ruhigsten Haltung im Stehen sowohl wie im Sitzen, da er sich nicht im geringsten zu wenden und zu verändern gewohnt war. Es heißt nämlich, daß „Moses und die Bundeslade sich nicht bewegten“ (4 Mos. 14, 44), entweder in dem Sinne, daß der Weise von der Tugend[5] nicht trennbar, oder in dem, daß weder die Tugend etwas Bewegliches,[6] noch der Tugendhafte etwas Veränderliches ist,


  1. Philo schwebt hier die Personifikation der Tugend und der Lust als zweier miteinander um die Menschenseele streitenden Frauen vor; vgl. Über die Geburt Abels § 20ff.
  2. Auch die rabbinische Exegese deutet den Zusatz „Ich, der Herr“ nicht selten in ähnlicher Weise; vgl. z. B. Raschi zum (vorausgehenden) Verse 18, 5: Ich, der Ewige, bedeutet: verläßlich in bezug auf die Vergeltung. I. H.
  3. Vgl. hierzu meine Dissertation, Die Raumtheorie im späteren Platonismus 1911, 32ff.
  4. Vgl. Über Abraham § 121 u. die Anm. dazu; Über die Geburt Abels § 59.
  5. Die Auffassung der Bundeslade als Symbol der Tugend kommt sonst bei Philo nicht vor.
  6. Über die Tugend als einen dauernd sich gleichbleibenden Zustand (διάθεσις: affectio animi constans, Cicero, Tusc. IV 34) vgl. P. Barth, Die Stoa² 157f.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloGigGermanLeisegang.djvu/15&oldid=- (Version vom 14.9.2022)