Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/044

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

Bildung bedarf der Organe und Fähigkeiten des Körpers[1] –, so gehen die der Herrin in die Seele[2] über; denn Einsicht und Wissenschaft sind der rationellen Überlegung geweiht. 156 Je mächtiger also und wirksamer und in allem kräftiger die Denkseele ist als die Hand, um so mehr halte ich[3] Wissenschaft und Einsicht für bewundernswert als die allgemeine Bildung und meiner besonderen Ehrung für würdig. Nimm daher, die du Herrin bist und von mir dafür gehalten wirst, meine gesamte Bildung entgegen und behandle sie wie eine Magd, ‘wie es dir gefällt’. 157 Denn ich weiß recht wohl, daß, was dir gefällt, auch gut ist,[4] selbst wenn es nicht sanft ist, und daß es nützlich ist, auch wenn es weit vom Angenehmen abliegt.[5] Gut und nützlich aber ist denen, die eines Tadels bedürfen, die Zurechtweisung, welche die Heilige Schrift mit einem anderen Wort ‘Drangsal’ nennt.“[6]

[28] 158 Darum wird hinzugefügt: „Und sie schuf ihr Drangsal“ (1 Mos. 16, 6), was gleichbedeutend ist mit: „Sie wies sie zurecht“, oder „sie züchtigte sie“.[7] Denn für Menschen, die in völliger Ungebundenheit leben, ist wie für störrische Pferde ein scharfer Sporn nützlich, da sie mit Peitsche und Zügel (allein) kaum gebändigt und gezähmt werden können. 159 Oder siehst du nicht den Kampfpreis,[8] dem diese Zuchtlosen zustreben? Sie mästen sich, werden breit und üppig und blähen sich auf, und schließlich gewinnen diese Elenden[9] und vom bösen Dämon Erfaßten den traurigen Siegespreis der

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/044&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. Vgl. § 140 Anm. 4.
  2. Damit ist der vernünftige Seelenteil (τὸ λογικὸν μέρος τῆς ψυχῆς) gemeint, s. o. § 21 Anm. 1.
  3. Über dieses ‘Ich’ und die folgende Anrede an Sarah vgl. § 151.
  4. [Nach stoischer Auffassung, die wir auf Chrysipp zurückführen können, ist ἀρεστόν ein Prädikat des ἀγαθόν; vgl. StVF. III 29. 37. 88. M. A.]
  5. Philo spielt hier auf die αὐστηρότης der stoischen ἀρετή an, vgl. Erbe des Göttlichen § 47 Anm. 6.
  6. Damit leitet Philo zum folgenden Hauptgedanken über, s. die nächste Anmerkung.
  7. Κακόω, ‘mißhandeln’ wird hier und § 171f. im moralischen Sinne gedeutet, s. auch All. Erkl. III § 174 Anm. 4. Zum folgenden vgl. quaest. in Gen. III §25 und zum Vergleich mit dem Pferde Panaetius = Cic. off. I 90.
  8. Das Wortspiel zwischen ἆθλα ‘Kampfpreis’ (im Pferderennen) und πανάθλιοι ‘Elende’ ist im Deutschen nicht wiederzugeben. Im folgenden wird der Vergleich zwischen einem störrischen Pferde (über das Pferd als Symbol der Leidenschaft vgl. Über Abrahams Wanderung § 62) und dem ungebildeten Menschen durchgeführt.
  9. [βαρυδαίμων spielt auf das gegensätzliche εὐδαίμων an. M. A.]