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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

halten, in Übereinstimmung mit den heiligen Weisungen, in denen es heißt: „Sich an ihn zu halten“ (5 Mos. 30, 20). Wer sich aber an ihn hält und ihm ununterbrochen dient,[1] dem gibt sich Gott dafür auch selber zum Besitz. Diese meine Behauptung wird durch das Wort verbürgt: „Der Herr selbst ist sein Besitz“ (5 Mos. 10, 9).[2] 135 So gebären die Seelen, die nicht im Leibe „besitzen“, sondern „empfangen“. Wie die leiblichen Augen bald trübe und bald klar sehen, so nimmt auch das Auge der Seele[3] die Besonderheiten der Gegenstände bald verwischt und undeutlich, bald rein und scharf [539 M.] auf. 136 Die unklare und unbestimmte Wahrnehmung ist dem Embryo vergleichbar, das im Leibe noch nicht zu Ende geformt ist; die deutliche und scharfe (Beobachtung) dagegen insbesondere dem, das voll ausgebildet und an allen inneren und äußeren Körperteilen kunstvoll gestaltet ist und die ihm angemessene Form erhalten hat. 137 Folgendes schöne und nützliche Gesetz wurde über diese (beiden) gegeben: „Wenn zwei Männer streiten und der eine eine Frau stößt, die ein Kind im Leibe besitzt, so daß ihr Kind, noch bevor es ausgebildet ist, heraustritt, so soll er Strafe zahlen. Soviel der Mann dieser Frau ihm auferlegt, soll er entsprechend der Forderung bezahlen. Wenn das Kind aber schon ausgebildet ist, so soll er Leben für Leben geben“ (2 Mos. 21, 22f.).[4] Denn es ist nicht gleichgültig, ob einer ein vollkommenes oder unvollkommenes Werk des Verstandes,[5] ein noch nicht in Gedanken vorgebildetes oder ein schon konzipiertes, ein noch nicht erhofftes oder ein schon vorhandenes zerstört. 138 Darum wird im Gesetz einmal für eine unbestimmte Sache eine unbestimmte Strafsumme und dann wieder für eine vollkommene Sache eine bestimmte Summe vorgeschrieben, wobei unter „vollkommen“ nicht an die Tugend, sondern an eine tadellose technische Ausführung zu denken ist.[6] Denn in diesem Falle gebiert nicht eine „empfangende“, sondern im Leib „besitzende“ Frau, die statt der schlichten Wahrheitsliebe

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/039&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. D. h. die Leviten. Vgl. die folgende Anm.
  2. Über die ‘Flucht’ der Leviten aus der Welt vgl. Über die Trunkenheit 72. Ü. d. Opfer Abels 129ff. Über die Flucht 88f.
  3. Der Ausdruck: τὸ τῆς ψυχῆς ὄμμα ist platonisch, vgl. Über die Geburt Abels § 36 Anm. 2. Über die Trunkenheit § 82 Anm. 4.
  4. Vgl. Über die Einzelgesetze III § 108f.
  5. Die folgenden Worte bezwecken eine Erklärung des Septuagintawortes: ἐξεικονισμένον.
  6. Es ist mit Wendland [τῶν] ἀνεπιλήπτῳ (ἀνεπιλήπτων codd.) zu verbessern. Vgl. die Definition der τέχνη § 141.