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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

127 Oft aber rühmen sich Lehrmeister der mittleren Wissenschaften, die einen begabten Schüler haben, ihrer Schule, indem sie sich als alleinige Urheber der guten Fortschritte ihres Schülers ansehen, heben sich in den Himmel und blähen sich auf, tragen den Kopf hoch, ziehen die Stirn in Falten, dünken sich wunder was und fordern von denen, die bei ihnen Unterricht nehmen wollen, gewaltige Summen. Wenn sie aber feststellen, daß ein bildungsdurstiger Schüler arm ist, weisen sie ihn von sich, als ob sie allein den Schatz der Weisheit entdeckt hätten. 128 Das bedeuten die Worte „im Leibe tragen“, nämlich anschwellen, hoffärtig sein, sich übermäßig aufblähen. Dadurch scheinen auch einige die Tugend, die Herrin der mittleren Wissenschaften[1], zu verunehren, während diese doch ihre Ehre aus sich selber bezieht[2]. 129 Die Seelen aber, die mit der Vernunft schwanger gehen, gebären ohne Umstände und mühelos,[3] indem sie wie Rebekka das Vermischte trennen und [538 M.] sondern. Als diese nämlich in ihrem Leib die Wissenschaft der beiden Völker der Denkseele, der Tugend und des Lasters, empfing,[4] gebar sie leicht und sonderte und trennte beide Naturen voneinander (1 Mos. 25, 23). Die Seelen aber, die ohne Vernunft schwanger werden, bringen entweder Fehlgeburten zur Welt[5] oder gebären einen Streitsüchtigen und einen Sophisten, der Lanzen wirft und Pfeile schießt oder mit Lanzen beworfen und von Pfeilen beschossen wird[6] (1 Mos. 21, 20). 130 Und vielleicht mit Recht. Denn die einen glauben im Leib zu „empfangen“, die anderen zu „besitzen“,[7] wozwischen doch ein großer Unterschied besteht. Denn (die Seelen), die zu besitzen wähnen, schreiben sich voller Prahlerei die Erfindung[8] und Entstehung (ihrer Weisheit) selber zu,

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/037&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. S. o. § 126 Anm. 5.
  2. S. o. § 80.
  3. Es ist mit Wendland <ἄνευ> πραγμάτων … ἀπόνως (codd. ὁμοίως) zu lesen.
  4. Allegorische Deutung von 1 Mos. 25, 23: „Zwei Völker werden in deinem Leibe sein ... und zwei Völker werden sich in deinem Leibe sondern.“
  5. S. o. § 37 Anm. 5.
  6. Ismael, der Bogenschütze (s. 1 Mos. 21, 20) ist bei Philo Symbol der Sophistik. Vgl. Über die Nüchternheit § 9 Anm. 1. Im übrigen vgl. Über die Flucht § 209f., wo der Schriftvers 1 Mos. 16, 12: „Seine Hände werden wider alle und die Hände aller wider ihn sich richten“ wie oben gedeutet wird.
  7. [Philo erweitert den Unterschied der biblischen Ausdrucksweise: ἐν γαστρὶ λαμβάνειν und ἐν γαστρὶ ἔχειν zu einem Gegensatz. M. A.]
  8. Es ist mit cod. FG. εὔρεσιν (sc. σοφίας) statt αἵρεσιν zu lesen. [Schwieriger vielleicht, aber nicht unmöglich ist die Lesart der besseren Hss.: WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt αἴρεσιν, das hier sowohl „die Erwählung“, wie „die Entscheidung“ heißen könnte; γένεσιν bedeutet bei Philo auch das Entstandene, d. h. hier das Kind oder die Nachkommenschaft. M. A.]