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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

[14] 71 Es heißt nun weiter: „Sara, die Frau Abrahams, nahm die Ägypterin Hagar, ihre Sklavin, nachdem Abraham zehn Jahre im Lande Kanaan gelebt hatte, und gab sie ihrem Manne Abraham zur Frau“ (1 Mos. 16, 3). Schmähsüchtig, bitter und böswillig von Natur ist die Schlechtigkeit, dagegen sanft, gemeinschaftsliebend und wohlwollend die Tugend, da sie Menschen von guter Naturanlage auf jede Art, sei es durch sich selber, sei es durch andere, fördern will. 72 Da wir nun zur Zeit noch nicht[1] fähig sind, von der Vernunft Kinder zu zeugen, so verbindet sie uns mit ihrer eigenen Sklavin, der oben genannten enkyklischen Bildung, wobei sie geradezu die Freiung und das Brautgeleit übernimmt. Denn sie selbst, heißt es, nahm sie (die Hagar), um sie ihrem Manne zur Frau zu geben. 73 Es ist der Überlegung wert, warum (die Schrift) hier noch einmal die Sara „Frau des Abraham“ nennt, nachdem sie sie doch bereits oben des öfteren als solche bezeichnet hat. Denn sie kann doch nicht eine Wiederholung, die häßlichste Form der Weitschweifigkeit in der Rede, bezweckt haben.[2] Was ist hierauf nun zu sagen? Da er (Abraham) im Begriff steht, sich die Dienerin der Vernunft, die enkyklische Bildung, anzuverloben, betont er ausdrücklich, daß er nicht die Eheversprechungen mit ihrer Herrin vergessen hat, sondern dessen eingedenk ist, daß diese nach Gesetz und freiem Entschluß, jene aber durch den Zwang und die Forderung des Augenblicks seine Frau ist. Solches geschieht aber mit jedem Lernbegierigen. 74 Wer es erlebt hat, dürfte der beste Zeuge dafür sein. [530 M.] Als zuerst die Philosophie[3] in mir eine leidenschaftliche Sehnsucht nach ihr entfachte, verkehrte ich im ersten Jugendalter zunächst mit einer ihrer Dienerinnen, der Grammatik, und brachte, was ich von ihr zeugte: das Schreiben, das Lesen, die Erzählungen der Dichter, ihrer Herrin dar. 75 Darauf verkehrte ich mit einer anderen Dienerin, der Geometrie, und obwohl ich ihre Schönheit bewunderte – denn sie besaß Gleichmaß und schöne Proportionen im Bau ihrer Glieder –, so schaffte ich doch

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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/023&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. S. o. § 14 Anm. 3.
  2. Über diese exegetische Regel, die auch die Rabbinen kennen, vgl. Siegfried S. 168ff.
  3. In der folgenden Aufzählung der Lehrfächer der ἐγκύκλιος παιδεία wird – wie auch in den anderen Listen (§ 11, 15ff.) keine Vollständigkeit erstrebt. S. o. § 18 Anm. 3.