Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

zu zerstören, die andere, die wohltätige, um die fünfte Stadt, die allein von der Zerstörung verschont wurde, zu retten. Es folgt noch eine allegorische Erklärung der Zerstörung der vier Städte (§ 147–166): die fünf Städte sind Sinnbilder der fünf Sinne des Menschen; von diesen ist der bevorzugteste der Gesichtsinn, denn das Auge ist der Spiegel der Seele, für das Auge hat Gott das Licht geschaffen, mit dem Auge schaut der Geist alles und gelangt er zur höchsten Erkenntnis; wenn also auch die vier andern Sinne vergehen, bleibt das Auge allein bestehen, weil es nicht blos am Vergänglichen haftet, sondern zu den unvergänglichen Dingen vordringt. Als herrlichste Tat Abrahams schildert Philo alsdann die auf Gottes Befehl beabsichtigte Opferung Isaaks, die sich mit der bei Griechen und Barbaren vorkommenden Sitte der Opferung von Kindern in nichts vergleichen lasse (§ 167–199). Allegorisch aufgefasst bedeutet die Opferung Isaaks, dass der Weise „das Lachen“ d. h. die Heiterkeit der Seele Gott zum Opfer bringen will, weil Gott allein Freude zukommt und dem Menschen nur Trauer und Furcht, dass Gott aber dem Weisen, der in seinen Wegen wandelt, die Freude, wenn auch nicht die ganz ungemischte, wieder zurückgibt (§ 200–207). Die bisher besprochenen Ereignisse aus dem Leben Abrahams waren Beispiele seiner gottesfürchtigen Gesinnung. Mit dieser aber verband er auch ein gerechtes und freundliches Benehmen gegen die Menschen. Dies zeigt er in seinem Verhalten gegen seinen Neffen Lot, dem er, um jeden Anlass zum Streit zwischen ihren Leuten zu beseitigen, völlige Trennung von einander vorschlägt und willig den besseren Erdstrich überlässt (§ 208–216). Die allegorische Erklärung sieht in dem Verhältnis der beiden Männer das Sinnbild verschiedener Seelenzustände (§ 217–224): in der menschlichen Seele bekämpfen sich zwei Richtungen, die eine strebt nach den wahren Gütern der Seele, nach den Tugenden und tugendhaften Handlungen, die andere hat nur Verlangen nach den äusseren Gütern; sobald die Seele von niederen Trieben und Leidenschaften sich freimacht und den Tugenden das Uebergewicht einräumt, fordert sie die andere Richtung auf, sich von ihr zu trennen. Ein weiterer Beweis seiner Menschenfreundlichkeit ist die rasche Befreiung Lots aus der Gefangenschaft, in die er bei dem Kampf der fünf westlichen Könige gegen die vier östlichen geraten war (§ 225–235). Allegorisch wird dann dieser Kampf auf das Verhältnis der fünf Sinne zu den vier Affekten gedeutet (§ 236–244); Abraham symbolisiert die weise Vernunft, die schliesslich über alle herfällt und sie niederwirft. Hieran schliesst Philo das Lob Saras, die ihrem Manne in allen Lebenslagen eine treue Gefährtin war und den besten Beweis ihrer Liebe zu ihm lieferte, als sie ihm ihre Magd Hagar zuführte, damit sein Haus nicht ganz ohne Nachkommen und Erben bliebe (§245–254). Einen rühmenswerten Zug in dem Charakter Abrahams

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/5&oldid=- (Version vom 9.3.2019)