Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn | |
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schönen Handlungen und Worten erweckt, der Geist dagegen weiblich ist, da er bewegt, unterrichtet und gefördert wird, da er überhaupt ein passives Verhalten zeigt und dieser Zustand allein für ihn heilsam ist. [21] 103 Alle nun, auch die Schlimmsten, ehren und bewundern mit dem Munde die Tugend, aber nur zum Schein, die Weisen allein befolgen auch ihre Mahnungen. Darum verstellt sich der König von Aegypten, worunter sinnbildlich der den Körper liebende Geist verstanden ist, er heuchelt wie auf dem Theater, als ob er, der Unmässige, Zuchtlose und Ungerechte, irgend welche Gemeinschaft hätte mit der Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung und Gerechtigkeit, und er ruft die Tugend zu sich, weil er den Wunsch hat, bei der Menge in gutem Rufe zu stehen. 104 Als dies der Allsehende durchschaute – denn Gott allein kann in die Seele sehen –, verachtete und verwarf er den verlogenen Charakter und strafte ihn mit den schwersten Prüfungen. Mit welchen Werkzeugen aber geschahen die Prüfungen? Ganz und gar mit den Teilen der Tugend, die da, wo sie sich einstellen, schwere Leiden und Wunden verursachen. Denn eine Prüfung für die Unersättlichkeit ist die Genügsamkeit, die Prüfung der Ueppigkeit ist die Enthaltsamkeit; es leidet auch der Ehrgeizige, wenn die Anspruchslosigkeit siegreich ist, und der Ungerechte, wenn die Gerechtigkeit Beifall findet. 105 Unmöglich können nämlich in einer Seele die zwei entgegengesetzten Charaktere wohnen, Laster und Tugend; wenn sie aneinander geraten, entstehen daher unvereinbare und unversöhnliche Zwiespälte und Kämpfe, obgleich die Tugend von Natur sehr friedlich ist; sie lässt es sich, sagt man, angelegen sein, wenn sie sich in ein Handgemenge einlassen soll, zuvor ihre eigene Kraft zu erproben, um, wenn sie stark genug ist obzusiegen, in den Kampf einzutreten, im andern Falle aber sich überhaupt nicht auf den Kampfplatz zu wagen. 106 Denn dass das Laster unterliegt, zu dessen Wesen die Schande gehört, ist nicht schimpflich; wohl aber ist es eine Schmach, wenn die Tugend unterliegt, da ihr vor allem schöner Ruhm zukommt, weshalb sie entweder zu siegen oder unbesiegt sich zu behaupten gewohnt ist.
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/28&oldid=- (Version vom 11.5.2019)