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Als ich so in meine Gedanken versunken dastand, kam auf einen Stab gestützt ein altes Weib an mir vorüber. Beim ersten Blicke erkannte ich sie nicht sogleich, aber als ich ihr nachschaute, sah ich, dass es Hripsime war.

Muhme Hripsime war eine Frau von fünf und siebenzig Jahren, doch ihrem sichern Gange, ihrer lebhaften Rede und ihren feurigen Augen nach zu urteilen, schien sie kaum eine Fünfzigerin zu sein. Sie war kräftig und kerngesund, urteilte wie ein Mann und war schneidig in ihrer Rede. Hätte sie nicht Weiberkleidung getragen, man hätte sie wirklich für einen Mann halten können. Ja, im Gespräch nahm sie es mit zehn Männern auf. Einmal, ich weiss nicht warum, wurde sie vor Gericht gefordert. Sie ging hin, stellte sich vor die Richter und sprach so tapfer, dass jene die Mäuler aufsperrten und sie wie ein Wundertier anglotzten. Ein anderes Mal drangen bei Nacht Diebe in ihr Haus ein, und zwar war sie da mutterseelenallein wie eine Eule im Hause. Die Diebe fingen an mit Brecheisen die Thür aufzubrechen und als das Muhme Hripsime hörte, sprang sie hurtig aus dem Bette, ergriff ihren Stock in der Ecke und fing an zu schreien: „Holla, Simon, Gabriel, Mathes, Stepan, Aswadur, steht schnell auf, ergreift Äxte und Stricke! Es sind Diebe da,

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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/51&oldid=- (Version vom 1.8.2018)