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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

verlaufen, an der Tagesordnung sind. So sieht das Leben der bäuerlichen Frau in Rußland aus!

Die Kinder verlieren dabei jede Achtung vor der Mutter, wollen ihre moralische Würde und Übermacht nicht anerkennen und erwachsen, pflegen sie die Mutter zu beschimpfen und manchmal zu schlagen, so wie sie es vom Vater, vom Oberhaupt der Familie und ihrem Herrn, während des ganzen Lebens gesehen haben.

Man muß noch bemerken, daß nirgends ein so großer Zwiespalt zwischen Kindern und Eltern besteht, wie es in Rußland der Fall ist. Geschieht es in intelligenten Kreisen, so läßt sich diese Erscheinung durch den Fortschritt des Wissens, durch die intellektuelle Entwicklung, durch die Veränderung in der Lebensauffassung erklären, auf dem Lande aber gibt es nur eine einzige Erklärung, und zwar den Verfall der Moral bei der neuen Generation.

Als ich im zaristischen und dann in Sowjetrußland lebte, hatte ich manche Gelegenheit, diesen moralischen Verfall unter der Land- und Arbeiterjugend zu beobachten.

Keine Worte stehen mir zur Verfügung, um dieses fürchterliche, verbrecherische Leben dieser Jugend, voll niedrigen Schmutzes, welches für die russische und die ganze Menschheit so gefährlich ist, zu beschreiben, dieser Jugend, die einmal die jetzige Generation in Gesellschaft und Staatsleben vertreten wird.

Die russische Regierung hat sich nie Mühe gegeben, in die Tiefe der Volksmassen einzudringen. Fast wie eine Anekdote mutet es an, wenn man den Artikel des bekannten russischen Publizisten Kondurischkin liest, der im Jahre 1917 sensationelle Nachrichten über die Zustände in den Dörfern und Siedlungen im europäischen Rußland und Sibirien brachte, wo man bis dahin noch keinen Vertreter der Regierung, ebenso wenig wie der Kirche gesehen hatte.

So geschah es denn, daß aus diesen Dörfern und Siedlungen uralter Aberglauben, Vorurteile, Verhexungen bei den im allgemeinen unwissenden und zu Mystizismus neigenden Volksmassen rasch an Verbreitung gewannen und sich festsetzten, damit den Anschein mittelalterlicher, elementarer Romantik mit ihren primitiven unchristlichen und unkulturellen Formen erweckend.

Wie können wir sonst solche Ereignisse verstehen, an die ich mich genau aus meinen Jugendjahren erinnere?

Im kleinen Städtchen Borowitsch im Nowgoroder Gouvernement

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/99&oldid=- (Version vom 14.9.2022)