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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

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kleine Fenster dringt das dunkle Sausen der Waldeswildnis wie eine düstere und grauenvolle Stimme. Der Sturm heult, am Himmel steht schwarz das Gewitter, Plötzlich kommt von weither die Stimme des Mönches, die voll Entzücken ruft: „Nun bist Du gekommen, o Herr, zu Deinen auf Dich wartenden Dienern! Sie sind bereit, ihr Blut als Opfer für die Sünden der Welt zu vergießen. Barmherziger Gott! Allmächtiger, großer Gott!“ Die Stimme des Mönches kommt näher und näher, bald zu einem Triumphgebrüll anwachsend, bald wieder in geheimnisvolles Flüstern sich verlierend, immer voller Ekstase und Schrecken.

Ich sehe, wie die Anwesenden zittern, mit den Zähnen klappern und nervös die Hände zusammenballen.

„Wehe uns, wehe!“ flüstern sie bebend und halten die Augen zur Erde gesenkt, um dem herannahenden Gott nicht in das Antlitz schauen zu müssen.

Der Wald stöhnt auf im Sturm, schauerlich pfeifend und heulend. In der Stube zittern die Kerzenflammen hin und her, einmal schwach, dann wieder hell aufflackernd. Durch diese Unruhe des Lichtes beginnen sich im dunklen Christusantlitz seltsame Schatten zu bewegen, die es unheimlich lebendig machen. Es ist, als schaue Christus mit lebenden Augen herab und hebe mit dem Munde zu sprechen an.

Ich fühle Schauer über meinen ganzen Körper laufen. Fürchterlichem sehe ich entgegen. Plötzlich ertönt von der Tür her die ernste, andächtige, vor Rührung zitternde Stimme des Mönches: „Tritt herein, allmächtiger Herr und empfange das Opfer Deiner Kinder.“ Ich erblicke den Mönch. Er kriecht, bis zur Erde gebeugt, auf den Knien rücklings in die Stube hinein, hält seine Arme betend ausgestreckt, als sehe er jemanden vor sich, dem er den Weg zu weisen habe. Plötzlich springt er auf und fängt mit seiner durchdringenden, verzweifelten Stimme, zitternd vor Angst und Schmerz, zu schreien an: „Verlasse uns nicht, o Herr, großer Gott, bleibe bei uns, die Zeit des Opfers ist gekommen.“

Mit einer blitzschnellen Bewegung wendet er sich an die Versammlung, bannt sie mit seinem Feuerblick, greift sich mit seinen weißen Händen an den Kopf und beginnt zu schreien mit befehlender, willensstarker Stimme:

„Er geht von uns fort! Nun stehen uns Qual, Sünde und Folter

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/81&oldid=- (Version vom 15.9.2022)