Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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Imperium, das immer mit Rußland moralisch und religiös in naher Beziehung stand, befanden.
Die Geißlersekte hat sich besonders während der Regierung Paul I. verbreitet, und zwar ist sie nicht nur in die Häuser der reichen Kaufleute eingedrungen, sondern auch in die der Aristokratie und sogar an den kaiserlichen Hof gekommen. Der Kommandant des düsteren Palais Paul I., den seine eigenen Untertanen erwürgten, war mit seiner ganzen Familie ein eifriger Anhänger dieser Sekte. Es wird auch erzählt, wie es dazugekommen.
Der Kommandant des Schlosses besatz eine sehr schöne, religiös veranlagte Tochter. Die Chlysten trachteten nun, sie dieser Sekte zuzuführen, um mit ihrer Hilfe auch die einflußreichsten Leute am Zarenhofe zu gewinnen, denn schon damals munkelte man über Gerichtsuntersuchungen und Verfolgungen der Sekte. Man ließ an das junge Mädchen den Sohn eines reichen Kaufmannes, der Anhänger der Sekte war, herantreten. Die Bekanntschaft wurde gemacht, der junge Mann gefiel und wurde zum ständigen Gast des Kommandanten. Eines Tages, als von der Geißlersekte Erwähnung getan wurde, stachelte er die Neugierde des Fräuleins an und bat sie, einmal den Mysterien beizuwohnen. Der junge Kaufmann bekleidete damals selbst die Priesterwürde. Seine religiöse Ekstase, seine begeisterte Stimme und seine schöne Erscheinung haben bei einer so ungewöhnlichen Veranlassung und mystischen Stimmung dem jungen Mädchen ungemein gefallen.
Eine helle Begeisterung und ein tiefes Entzücken bemächtigte sich ihrer, als sie den jungen Priester seinen rituellen Tanz beginnen sah. Seine drehende Bewegung wurde so rasch ausgeführt, daß sein Gesicht fast unsichtbar wurde; er wußte die Drehungen zu einem solchen Grade zu führen, daß er dadurch im Zimmer einen starken Wind verursachte, der alle Kerzen zum Verlöschen brachte. Obwohl das Fräulein in die Sekte eingetreten war und die Mitglieder ihrer Familie ihrem Beispiele folgten, auch viele von ihren aristokratischen Bekannten, so verfolgte doch Paul I. unbarmherzig die Chlysten, ließ sie mit Stöcken und Peitschen auf einem öffentlichen Platze bei den Klängen der Soldatentrommel schlagen und dann nach Sibirien verschicken. Ich erinnere mich, daß trotzdem noch im Jahre 1911 in Petersburg solche Mysterien der Chlysten aufgedeckt wurden, an welchen Kaufleute und aristokratische Familien teilnahmen.
Die Chlysten haben sich zumeist in den Gouvernements Jaroslau,
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/73&oldid=- (Version vom 15.9.2022)