Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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Geschenken versehen, eiligst den Ort fliehen, um den nachforschenden Behörden zu entgehen.
Im Gefängnis, das ich mit der Viedunja Irene Gulkina teilte, verbreitete sich plötzlich das Gerücht über ein neu aufgedecktes Verbrechen dieser Giftmischerin.
Das Gericht eines südlichen Gouvernements hat den Beweis erbracht, daß die Erben eines großen Gutsbesitzers durch Giftmord der Gulkina um das Vermögen betrogen wurden.
Der Gutsbesitzer und seine unmittelbaren Erben starben plötzlich eines rätselhaften Todes, so daß die reiche Erbschaft einer entfernten Verwandtschaftslinie zufiel.
Die Untersuchung hatte die Beweise des Giftmordes erbracht und die Auslieferung der Täterin aus Sibirien nach Südrußland wurde verlangt.
Seit sie dies weiß, die Viedunja, ist sie noch ernster und finsterer als sonst. Noch schlürfender und langsamer ist ihr Schritt, ihr Blick bleibt immer wie suchend auf der Erde und stumm ist sie geworden wie das Grab.
„Die Todesangst peinigt sie“, raunen sich die Häftlinge zu, „sie weiß es schon, sie wird gehängt“.
Der Tag ihres Abtransportes ist angebrochen.
In der Nacht davor erkrankt die Viedunja, man findet sie in Schweiß gebadet und sich in Schmerzen windend, bis sie in Ohnmacht fällt.
Am Morgen findet sie die Aufwärterin in der Ecke der Zelle in einer unnatürlichen, kauernden Stellung.
Nähertretend erkennnt sie, daß Irene Gulkina tot ist.
Sie hat sich selbst gerichtet.
Die Giftgräser zu ihrem Selbstmord hat sie im Gefängnishof gefunden, darum war ihr Auge in den letzten Tagen auch so suchend.
Einen Rest dieses Grases fand man in dem Knoten eines Tuches, welches sie bei sich verborgen getragen.
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/49&oldid=- (Version vom 15.9.2022)