Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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Die Tragödie des Lebens hat ihre Mächte überall, in den Palästen der Fürsten und Bankiers ebenso wie in den strohgedeckten Hütten der Armut.
Rache, Haß, Verrat, enttäuschte Liebe, verbrecherische Instinkte, sie finden Unterschlupf überall, in den Städten, großen und kleinen Dörfern, selbst in den verborgensten Dörfern, auf Bergen, in Sümpfen und Wäldern, mit einem Worte allüberall.
Da aber, wo noch dunkles Heidentum, mongolische Psyche, Seele ruhelosen Nomadentums nistet, hausen sie üppig.
Messer und Axt sind in Rußlands dunklen Ländereien nicht selten die Werkzeuge unseliger Taten.
Dem Mord aber folgt das Gericht auf dem Fuße und um des Gerichtes willen geschieht der Totschlag nicht.
Gift macht nicht blutig, es ist heimlich wie die böse Tat und das alte Weib, die „Viedunja“, die versteht es zu mischen, wie man es braucht.
Die russischen bäuerlichen Lokusten kennen ausgezeichnet die Botanik und sind im Besitze des schon fast verschollenen Wissens über die Urkräfte von Gräsern, Kräutern, Blumen und Wurzeln, das sie geheimnisvoll hüten.
Das ganze Jahr lang, tagaus, tagein, höchstens den strengsten Winter ausgenommen, streichen diese Weiber durch Wald und Feld, nach ihren Pflanzen suchend, welche sie zum Zaubern, Heilen und Töten brauchen, wie es eben das Geschäft gerade verlangt.
Strychnin, Nikotin, Atropin, Morphium, die Gifte faulenden Fleisches, das Drüsengift der Schlangen, Spinnen und Kröten, die Ansteckungsgifte eines Tetanus, die Bakterien der Wald- und Sumpfpflanzen, alle Geheimkräfte versunkener heidnischer Wissenschaft sind den Lokusten wohl bekannt.
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/47&oldid=- (Version vom 15.9.2022)