Seite:Ossendowski - Schatten des dunklen Ostens.djvu/42

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

in den Urforst, wo ihn noch kein Menschenfuß betreten, oder auch in die Wildnis nackter Felsen.

Ein zerbrochenes Christenkreuz, ein Krug voll mit dem Blute eines schwarzen Bockes, der Balg eines gehängten schwarzen Katers und die unvermeidliche Flasche Schnaps werden der Braut als Mitgift für den Teufel mitgegeben.

Im Kreise werden diese Gegenstände aufgestellt und mitten drinnen liegt gebunden das von der Hexe dem Teufel verschriebene Menschenkind.

Schreiend und heulend in grauenhafter Furcht, meist dem Halbwahnsinn verfallen, in epileptischen Krämpfen sich windend, zittert die Ausgesetzte dem Erscheinen des Satans entgegen.

Beim Dämmern des Morgens dann, da kommt die Hexenmutter wieder, bindet die Geopferte los, bringt sie mit Schnaps in das Leben zurück und begrüßt sie mit einer magischen Formel, die uralt ist wie wohl der Slawismus selbst.

Von dieser Stunde an ist das Kind nun selber Hexe und geht ihren eigenen Praktiken nach.

Die Alte hat beim Entfliehen der Gehilfin nichts mehr zu fürchten, denn wohin sollte sie auch, ist sie doch durch die Teufelsvermählung zum allüberall gemiedenen und verachteten Menschen gestempelt worden.

Würde sie sich unter die Gemeinschaft der anderen Menschen wagen, würde sie totgeschlagen wie ein toller Hund.

Der dem Teufel vermählten Hexe wird auch die Kunst des Fliegens gelehrt.

Die gerichtliche Medizin, die Geschichte der Kulte, die Forschungen der Kirchenväter und des großen Leonardo da Vinci haben Licht in dieses Hexenfliegen gebracht.

So ein Hexenfliegen vollzieht sich folgendermaßen:

Mit einer Salbe aus Fett und Kräutern aller Art wird von der alten Meisterin der Leib des neuen Hexleins, wenn es Nacht geworden, eingerieben.

Die Salbe zieht einen eigenen fieberhaften Schlaf nach sich und erwirkt Träume des Fliegens.

Von diesen Flügen weiß dann die Erwachte in der hingerissendsten und entzücktesten Art zu erzählen.

Empfohlene Zitierweise:
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/42&oldid=- (Version vom 14.9.2022)