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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

„Gräber seh ich, — im Rauch des Blutes, — den Tod, — den bleichen, fürchterlichen Tod. — Es gehen ihm Leute voran, — ich kann sie nicht kennen, — sie sind nicht aus unserer Gegend, — sie gehen, — immer gehen sie, — und in den Fluß, — in den Brunnen, — in die Ställe, — und in die Kammern des Kornes, — streuen sie die Samen der Krankheit, — die uns nun ermordet, — die uns vernichtet, — alle, — alle, — oh, — ich sehe es, — ich sehe es, — in roten Dünsten und blutigem Rauch, — Blut nur kann den Tod bezwingen, — Blut, — Blut, — Blut.“

In düsterem Schweigen stehen die Bauern und denken nach.

Auch der Wahrsager schweigt, nur die Flammen zischeln, das gebratene Blut knistert, der Wind vom See her wimmert durch das Schilf und der Atem, der schwerziehende Atem der Schweigenden keucht.

Wildenten von weit her schreien jetzt auf. Das Heulen einer verirrten Kuh und das Bellen eines wachenden Hundes wird laut.

Die Juninacht liegt wie eine schwere Decke über der Erde, bereit, alles in Geheimnis zu hüllen.

In meinen Gedanken steigen beim Anblick dieser im roten Schein des Blutfeuers dastehenden Masse Bilder uralter Zeiten auf. Ich sehe an der Stelle dieser Prophetenflammen das Holzbild des Gottes Perkun, schaue in ihren weißen, wallenden Leinengewändern mit den grünen Kränzen am Haupt die Heidenpriester, unter deren geweihten Messern das Blut der Opfertiere fliegt.

Der Bann des Schweigens bricht. Durch die Versammlung der blutrot angehellten Nachtgestalten geht ein Raunen, gellend schwillt es an, wird Donner und hundertstimmiges tierwildes Fluchen.

Wie eine Gewitterwolke wälzt sich der Haufe der Bauern dorfwärts.

Die zur Bannung der Seuche in den Ort geschickten Ärzte, in denen die verzweifelten Russen durch die Weissagung des Hundertjährigen die Fremden erkennen, die den Samen der Cholera verstreut, werden aus ihren Betten geholt, mit Stöcken geschlagen, mit Gabeln gespießt und in dem sumpfigen Fluß erstickt.

Eine gerichtliche Untersuchung wird eingeleitet. Urteile klatschen nieder wie Peitschenschläge und Sibirien ist um einige Verbrecher reicher.

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/36&oldid=- (Version vom 15.9.2022)