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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

der ersten christlichen Ära erinnert, ein Ideolog in seinem Sektierertum, hat Jewdokim einen ungeheuren Einfluß auf seine Diözese gehabt. Sein Ruf war weit gedrungen. Als einer der Anführer im Kampfe mit dem „Antichrist“ Rasputin und dank seiner großen Machtstellung ist er an seinem Platze unter den Bolschewiken geblieben. Sie fürchteten ihn mehr wie den Patriarchen Moskaus und ganz Rußlands, den Erzbischof Tichon. Im Jahre 1921 hat Jewdokim plötzlich eine Agitation angefangen, um die Reichtümer, Kirchenkapitalien und Klostergüter für die Hilfe der hungernden Bevölkerung Rußlands zu verwerten. Seine Agitation war völlig geglückt. Die bolschewistische Regierung ist in nahe Beziehungen mit dem Urheber dieses Vorschlages getreten, der so bequem für den zusammenstürzenden Kommunismus war. Doch nicht die Änderung seiner Anschauung war es und nicht humanitäre Zwecke, die ihn zur Hilfe den Sowjets gegenüber bewegten, die unter der Last ökonomischer Verwicklungen zusammenbrachen. Jewdokim hat auch das in Rußland ausgeprobte Mittel der Provokation benützt, denn er verstand, daß die Bolschewiken nur noch eine in Rußland gebliebene Macht fürchteten, die Macht der Kirche, und daß sie so wenig wie möglich nach dem ersten Ausbruch der Oktober-Revolution diesen für sie gefährlichen Punkt berühren wollten. Man mußte also die Verfolgung der Kirche provokatorisch ins Leben rufen.

Die Bolschewiken haben, indem sie sich auf die Hilfe des Bischofs Jewdokim stützten, Reichtümer und Kirchengüter requiriert, doch allmählich wurden sie dreister, plünderten und raubten. Die Popen und ihre Gemeinde leisteten natürlich Widerstand, der zu Reibereien, strengen Verurteilungen und ernsten blutigen Zusammenstößen führte. Dieser Kampf wurde in immer mehr Ortschaften aufgenommen, so daß der Gedanke des Kampfes um die Kirche mit den Dienern des Antichrist immer mehr an Verbreitung gewann. Die Sowjets aber haben den Sieg errungen. Zuerst ist ihnen der Bischof Jewdokim unterlegen und später der Patriach Tichon. Sie sind sogar treue Diener dieser Regierung geworden, damit eine Empörung im Volke, in der Kirche und in der russischen Emigration hervorrufend. Die Idee des Kampfes um die Kirche ist erloschen gleich allen anderen hohen Losungsworten in Rußland.

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/166&oldid=- (Version vom 15.9.2022)