Seite:Ossendowski - Schatten des dunklen Ostens.djvu/145

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

Düsterheit und Hoffnungslosigkeit diese Irrenden wie Nachtfalter zu den erhellten Quartieren glücklichen Reichtums.

Da werden sie in Scharen von der Polizei festgenommen und nach Revidierung der Pässe im Gnadenwege in die Nachtasyle abgeschoben, damit ihr Elend nicht länger die Straßen der reichen Stadt besudle.

Als ich 1908 in Petersburg diese Asyle besuchte, glaubte ich im Fieber zu träumen, denn das, was ich da schauen mußte, war so hoffnungslos und grauenhaft, so abstoßend und verzweifelnd, daß es mir die Besinnung zu nehmen drohte.

Damals habe ich es schon instinktiv gefühlt: hier im Dunkel dieser Nachtasyle, hier in diesen stinkenden Höhlen lauern und warten deine furchtbarsten und schrecklichsten Rächer, Mütterchen Rußland!

Und wie geahnt, so war es. Das Elend der Nachtasyle hat ganz Rußland in Brand und Blut getaucht.

Als ich in einer der am meisten gelesenen Zeitungen und in Monatszeitschriften die Nachtasyle von Petersburg beschrieb, erhob die offizielle Regierungspresse dagegen Einspruch und die Strafen, die man den Blättern auferlegte, welche diese Greuel an den Tag brachten, waren schwere.

An Petersburgs Peripherie, dieser Stadt des Luxus und der Paläste, irgendwo hinter den Gemüsegärten und Friedhöfen der Armen und Selbstmörder ragen wie graue Festungen vielstöckige Häuser empor.

Abgemörtelter Verputz, blinde, fettige Scheiben oder Lumpen in den Fenstern und Ofenröhren, die aus den Fenstern qualmend herausragen, geben den Häusern etwas grauenhaft Trostloses.

Über der Eingangspforte baumelt eine gelbleuchtende Laterne mit der Aufschrift: „Nachtasyl“.

Eine Menge dunkler Gestalten drängt sich zu dieser Pforte, zittert vor Kälte, seufzt oder weint leise vor sich hin.

Endlich wird das Tor geöffnet, das diesen Armen Einlaß gibt, aber nur so vielen, als es die Vorschrift des Asyls erlaubt. Befindet sich einer unter den Obdachlosen, dem es möglich ist, dem Aufseher etwas Kleingeld in die Hand zu drücken, so kommt es vor, daß eine doppelt so große Menge eingelassen wird.

Sind die armen Landleute im Nachtasyl gelandet, so gehen sie mit den anderen durch dunkle, kotbedeckte Höfe, steigen die Eisentreppen

Empfohlene Zitierweise:
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/145&oldid=- (Version vom 15.9.2022)