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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

Verachtet wie Taugenichtse, Verbrecher und Diebe waren diese nach den Gruben und Fabriken ausgewanderten Bauern.

Wollte sich eine kinderreiche Bauernfamilie auf ihrem Grund und Boden erhalten, so mußte wenigstens ein Teil der Familienmitglieder auf gelegentlichen Saisonverdienst nach der Stadt wandern.

Bei diesen Ausgewanderten dauerte es aber oft lange, ehe sie wieder heimwärts kamen, sie sind meist nur mit fallweisen Geldsendungen ihren Familienpflichten nachgekommen und haben im übrigen das Dorf Dorf sein lassen.

Kehrten sie dann endlich wirklich heim, brachten sie Sitten und Gebräuche in das Dorf mit, die der Religion und den Familientraditionen gefährlich und feindlich gegenüberstanden.

Mit diesen Heimkehrern in Stadtkleidern, modernen Hüten, Seidenputz, Ajour- und Florstrümpfen sind auch gleichzeitig allerlei tückische Krankheiten eingezogen, die das Dorf dezimierten, es der Degeneration zuführten und in einen Zustand versetzten, der für die mittleren Gouvernements des europäischen Rußlands heute noch typisch ist.

Will man gerecht sein, so darf man diese ländlichen Vergifter der Dörfer nicht so ohne weiters schuldig sprechen, trifft doch die Hauptschuld an diesen Zuständen den Staat, die Regierung selbst.

Einige Charakteristiken aus dem Leben solch stadtgewanderter Dorfleute vermögen diese Zustände Rußlands am besten zu kennzeichnen.

Eine Gruppe von Dorfleuten kommt auf der Suche nach Verdienst in die große, fremde Stadt, wandert hoffnungsstark von Fabrik zu Fabrik, unter tausend Bücklingen um Arbeit bittend.

Diesen halbverblödeten, armen, steppenwilden Bauernkindern, die da jedem Fabriksportier vor die Füße fallen, sich vor jedem Bild, wenn es nur eingerahmt ist, in Frömmigkeit bekreuzen, wird aber bald ihr Suchen nach Arbeit sauer und hart, sie brechen in verzweifeltes Heulen und Stöhnen aus und stehen ratlos in der großen, fremden Stadt da.

Tag um Tag vergeht, ohne daß ihnen Arbeit wird. Die mitgebrachten Speisevorräte und Spargroschen sind aufgebraucht, Not und Hunger fangen an.

Die Nacht kommt, die sie hungrig und frierend auf der Straße findet.

Feuchtes, frostiges, durchdringendes Herbstwetter treibt in seiner

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/144&oldid=- (Version vom 23.2.2020)