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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

Wie auch ich endlich nahe an das Bild herankomme, ist es, als wäre vor den Wolfsblick des Bildes ein leuchtender Schleier gelegt, der wie aus geheimnisvoller Tiefe aus den Höhlen der Augen flimmerte.

„Ein Teufel — kein Mensch“, ruft ein Besucher aus.

„Rasputin“, flüstert erkennend ein anderer.

„Die dunkle Macht“, seufzt eine fromme Dame.

„Ein heiliger, mächtiger Mann Gottes“, raunt es ringsherum.

Und immer kommen und gehen die Leute, unheimlich erfüllt von dem Eindrucke des Bildes.

Meine dritte Begegnung mit Rasputin gestaltete sich für den Mann Gottes sehr tragisch.

Der Reporter der Tageszeitung, die ich leitete, rief mich an, mir die Sensationsnachricht übermittelnd, daß Rasputin ermordet und daß die Behörde nach seinem Leichnam fahnde.

Nach ein paar Stunden berichtete man mir die Auffindung des Ermordeten.

An Ort und Stelle gekommen, hatte man gerade Rasputins Leiche aus der Eisrinde des gefrorenen Newaflusses herausgefischt und an das Ufer gebettet.

Er trug einen wunderbaren Pelz, ein Hemd aus schwarzer Seide, Stiefel aus Lack, mit warmen Galoschen geschützt.

Das Gesicht war zerschlagen, die Augen verletzt und der Hals voll Würgespuren.

Er wurde das Opfer politischer und persönlicher Rache zugleich, keine Geringeren als der Großfürst Dimitrij, der Graf Sumarokow-Elston und der Dumaabgeordnete Wladimir Purischkiewitsch entpuppten sich als die Mörder Rasputins.

Der Porträtmaler Rajewski, der das schon erwähnte Bildnis Rasputins gemalt, hatte sich für diesen so geheimnisvollen Mann auf das allerlebhafteste interessiert und viel über den „Mann Gottes“ zu erzählen gewußt.

In den vielen Erzählungen Rajewskis kehrte Rasputins unheimlicher, übermächtiger Einfluß auf die Frauen immer wieder.

In den Alkoven der vornehmsten Aristokratinnen war der Wüstling im Mönchskittel geradezu daheim.

Auch die Boudoirs ältlicher Kaufmannsfrauen und Varietédamen wußten die erbaulichsten Dinge über diesen so mächtig gewordenen Pferdedieb zu erzählen.

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/134&oldid=- (Version vom 15.9.2022)