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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

gewinnen, so wurde immer der Bruder Gregor gewählt, dem es fast jedesmal gelang, Opfergaben seinem Kloster heimzubringen.

Diese Kunst des so oft sittenlosen Brüderchens wurde von dem Kloster hochgeschätzt und war auch der Grund, daß man ihm manche Umtriebe verzieh.

Als aber die Nachrichten über seine Trinkgelage, seine Hazardspiele und seine geschlechtlichen Orgien, die die unausbleiblichen Begleiterscheinungen seiner Bettelexpeditionen waren, sich immer mehr in Umgang setzten und als auch seine früheren Umtriebe mit Pferdediebstahl und dergleichen ruchbar wurden, da war an sein Verbleiben im Kloster nicht mehr zu denken.

Da kam zu dem großen Sündenregister nun noch ein Totschlag Rasputins bei einem Liebeshandel und es blieb ihm von da an verwehrt, die Pforten des Klosters zu durchschreiten.

So zog er denn in der Mönchskutte sühnend durch die Dörfer Sibiriens, tauchte später in der Wolgagegend auf, wo er in kürzester Zeit als „heiliger Mann Gottes“ unter den Betschwestern aus der Klasse der reichen Kaufmannsfrauen berühmt wurde.

Man konnte Rasputin außerordentliche Fähigkeiten nicht absprechen. Seine scharfen, durchdringenden, feurigen Luchsaugen schienen jeden, den sie trafen, zu verbrennen und die geheimsten Wünsche des Herzens zu entdecken.

Starke hypnotische Kraft und die Macht unentrinnbarer Suggestion wirkten sich auf ganze Massen ebenso unheilbringend aus wie auf das einzelne Individuum.

Seine Stimme konnte seltsam befehlen und überzeugen, diese hohle Stimme, die dem düsteren Rauschen der Bäume des sibirischen Urwaldes glich, wo seine dunkle Jugend verborgen lag, die hallte in den Seelen mit unentrinnbarer Gewalt nach.

Einmal frühmorgens fuhr ich in einer leeren Trambahn durch Petersburgs Straßen.

Ich war in das Lesen einer Zeitung vertieft, als ich ganz plötzlich einen starken Stoß verspürte, wie einen Schlag auf den Kopf.

Mich umwendend, bannte mich der Blick eines hohen, hageren, bezwingenden Mannes mit blassem, hagerem, fast asketischem Gesicht.

Ein reicher, prächtiger Zobel und eine ebensolche Mütze kleideten stattlich den Fremden.

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/132&oldid=- (Version vom 15.9.2022)