Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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dunkler, vielleicht etwas heller wie der Schnee und hielten meinen Blick unausgesetzt gefangen. Ich rief zwei von den mir zunächst gehenden Burschen heran und wir gingen der Sache nach. Kaum, daß wir ein paar Schritte getan, fingen die Flecken an, sich heftig zu bewegen.
Ich begriff sofort, daß wir es mit einem Banditenüberfall zu tun bekamen. Es waren Banditen und Flüchtlinge aus den Gefängnissen von Sachalin, die in weiße Mäntel gehüllt, auf uns lauerten. Wären wir auf unseren Schlitten eingeschlafen, so hätten sich die Räuber unbemerkt an uns herangeschlichen, hätten die Schnüre, die die Ladungen zusammenhielten, durchgeschnitten und die Teekisfen langsam ohne Geräusch in den tiefen Schnee heruntergleiten lassen.
Beim ersten Aufenthalt hätten wir erst den Schaden bemerkt, viel zu spät, denn der „Schpana“, so hieß man solche Banden, wäre es längst gelungen, unser Gut zu bergen und damit zu verschwinden.
Als sie aber bemerkten, daß sie entdeckt waren, gingen sie mutig zum Angriff über und gaben Schüsse ab. Zwei von meinen Burschen blieben tot liegen, fünf andere trugen Wunden davon und der Rest warf sich, meinem Beispiele folgend, auf unsere Gegner. Der Jamschtschik pflegt immer eine Waffe bei sich zu tragen, entweder ein langes Messer, das er im Stiefelschaft verbirgt, oder einen starken Riemen, an dessen Ende eine schwere Eisenkugel befestigt ist.“
Kuchtierin stieg einen schweren Seufzer aus und endete seine Erzählung:
„In dieser frostigen Nacht haben wir dreiundzwanzig Leute aus der Schpana getötet und die Häuptlinge der Bande auf die Äste der Tannenbäume gehängt.“
Ein seltener Mensch war dieser Kuchtierin, ein echter Jamschtschik aus alter, rauher, romantischer Zeit. Er liebte die Natur und kannte sie wie ein tausendmal durchgelesenes Buch. Die Gewohnheiten und die Stimmen einer jeden Vogelart waren ihm genau bekannt. Er wußte den Gesang einer Nachtigall und eines Rotkehlchens nachzuahmen, ebenso das Röhren eines Hirsches, das Brüllen eines in Wut versetzten Bären, das Heulen eines Rudels Wölfe. Bei einer seiner Wanderungen, als er noch ein ganz gewöhnlicher Jamschtschik, der Besitzer nur eines Gefährtes war, lernte er im Gasthause eines kleinen Städtchens die Frau des Gastwirtes kennen und verliebte sich sterblich in sie. Emsig sein Geld zusammensparend und wie ein
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/108&oldid=- (Version vom 15.9.2022)