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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

lebte ein alter Mann, Pietia mit Namen, von Geburt ein Idiot, mit einer religiösen Manie behaftet. Dieser alte, magere Greis pflegte Sommer und Winter in einem alten schmutzigen Leinenanzug herumzugehen, ohne Schuhe und ohne Hut, und stundenlang vor jeder Kirche hin und her zu wandern, sich vor jedem heiligen Bilde zu bekreuzigen, dabei irgend welche spaßhafte Liedchen singend und mit ein paar Holzstücken, die er sich in die langen, verwirrten Haare am Kopf und in den Bart hineingesteckt hatte, spielend.

Scharen von Buben und Mädchen folgten ihm immer, zupften an seinem Barte und an den Kleidern, bewarfen ihn mit Steinen und lachten ihn aus. Pietia lief den Kindern davon und belustigte sie noch mehr durch seine hohen Sprünge, sie damit zu immer größeren, manchmal zu boshaften und grausamen Spässen veranlassend.

Eines Tages lief Pietia, um seinen jungen Quälgeistern zu entkommen, aus der Stadt und verbarg sich in einem großen Heuschober, aus welchem er Laute eines heulenden Hundes von sich gab. Da die Kinder Pietia zum Verlassen des Heuschobers nicht zwingen konnten, sind sie eines nach dem anderen in die Mitte des Heuschobers hineingekrochen. Auf diesen Augenblick hatte der Wahnsinnige gewartet. Nach kurzer Zeit brannte das Heu samt Pietia und den Kindern lichterloh.

Die Regierung ließ diese krankhaften Typen, die unter dem Namen von „Gottesmenschen“ bekannt und von frommen Bürgern und Bauern geachtet, von den Kindern aber gequält wurden, frei herumlaufen, anstatt ihnen ein Obdach in speziellen Anstalten zu geben.

Die an Epilepsie und Hysterie erkrankten Frauen, die sogenannten „Klikuschen“, erfreuen sich als Geschöpfe Gottes in den halb intelligenten Kreisen eines besonders hohen Ansehens. Während ihrer Attacken, wobei sie sich in Krämpfen winden, abwechselnd schreiend oder lachend, fluchend oder weinend, werden durch besonders Eingeweihte Prophezeiungen und Voraussagungen auf Grund ihrer Worte gemacht. Diese Klikuschen haben auch manchmal bei den Zaren einen politischen Einfluß ausgeübt und einige davon, aus allen Ecken und Enden des Imperiums gebracht, haben keine unbedeutende Rolle in Zarskoje-Selo gespielt in den Appartements der mystisch gesinnten Zarin Alexandra, der hessischen Prinzessin. Auch während der Sowjetregierung ist es nicht anders geworden, denn die Epileptiker, die hysterischen Leute und verschiedene Klikuschen haben das Recht der

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/100&oldid=- (Version vom 15.9.2022)