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Hurrah!" jubelte Robert, und hinaus war er, wie ein Wirbelwind; er flog den Berg hinab und an der Thür der Schenke prallte er an den Wirth an, der sich breitspurig hingepflanzt hatte und hinaus in das Gestöber sah. Verwundert fragte er den Kleinen:

„Wohin so eilig, Junker Sausewind? Das geht ja wie der Blitz!"

„Nun, zu wem soll ich denn sollen? Zu meinem italienischen Onkel, der muß ja bei Ihnen sein."

„Ja, sag mal, wie sieht denn dein Onkel aus? Kennst Du ihn denn?

„Nein, aber jedenfalls ist er recht braun im Gesicht oder olivenfarbig, wie der alte Napoleon – das versteht sich doch von selber?"

„Ein fremder Herr, ein ganz feiner, sitzt drinnen, aber braun oder olivenfarbig, wie Du sagst, ist er nicht – da wirds wohl nicht der Richtige sein."

Darauf hörte der kleine Patron aber schon nicht mehr – er hatte bereits die Thüre zur Gaststube aufgerissen und suchte sich in dem Tabaksnebel, der dieselbe erfüllte, zu orientiren. Es war Niemand da, den er für seinen Onkel hätte halten können, wohl aber trat der Herr auf ihn zu, den er am Vormittag im Walde getroffen hatte.

„Suchst Du Jemanden, mein kleiner Schütze? Das ist doch hübsch, daß wir uns hier wieder finden. Willst Du mich mit zu Deinem Onkel und zu Deiner Tante nehmen?"

„Sie können schon mitgehen, wenn Sie wollen, aber Sie suche ich nicht – ich suche meinen italienischen Onkel, der hier sein soll. Aber – ach Gott! – ich glaube, er ist nicht da."

„Nun, das müssen wir doch erst abwarten. Sage, wie heißt denn Dein italienischer Onkel?"

„Ferdinand Walther heißt er und der Onkel und die Tante warten auf ihn und wenn ich ihn nicht bringe, ist uns Allen die Freude versalzen."

„Wie wäre es denn nun, wenn ich dein Onkel Ferdinand Walther aus Italien wäre? Willst Du mich als Deinen Onkel anerkennen?"

Robert sah ihn zweifelhaft von der Seite an. „Das wäre mir schon recht, aber – Onkel – Du – bist ja gar nicht ein bissel olivenfarbig und das gehört sich doch für einen Italiener, wie schwarzes Haar."

Der Fremde lachte hell auf. „Nun, da nimm mich eben weiß und blond – ich habe nicht braun werden wollen, will mir aber in Zukunft rechte Mühe geben, damit ich Dir in Zukunft noch besser gefalle. Wollen wir gehen, mein Herr Neffe?“

„Du bist‘s also wirklich? Nein, ist das aber komisch! Das hätt' ich heute Vormittag wissen sollen!"

„Warum aber, mein kleiner Schütze?"

„Da hättest Du gleich mitgehen müssen, und was hätte dann der Onkel sagen wollen, wenn Du einmal da warst?"

„Er hat also erst keine Lust gehabt, mich aufzunehmen?"

„Nun, ein bissel Hitze hat es schon gekostet, aber das kann Dir der Onkel selber erzählen, dazu hab' ich jetzt keine Zeit." Und der kleine Bursche erröthete bis in die Schläfe; daß er auf seine Bescheerung hatte verzichten müssen, wollte er doch um keinen Preis sagen.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_20.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)