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uns durch seinen jugendlichen Leichtsinn zugefügt hat, bereut er von ganzem Herzen, bittet uns um Verzeihung und wird nicht eher wieder froh werden, als bis wir wieder mit ihm ausgesöhnt sind und ihn als Bruder aufnehmen."

Der Kinderkopf war rasch fertig mit seiner Ueberlegung. „Was der Onkel gethan hat, war also nicht Bosheit, sondern nur Leichtsinn? Da werde ich also den Onkel aus Italien bald sehen? Bringt er auch seine Buben mit? Das soll aber eine Schneeball-Schlacht werden, und dann fahren wir mit dem Rennschlitten den Schloßberg hinunter, daß es nur so saust. Die werden aber Augen machen; denn in Italien wissen sie doch gar nicht, was Schnee ist!"

„Damit ist es nun freilich nichts, seine Buben hat er daheim gelassen." –

„Ach ja, den kleinen Italienern könnten hier leicht die Ohrläppchen und die Nasenspitzen erfrieren."

„Aber auch den Onkel wirst Du wohl nicht sehen; denn – sieh nur hin, Dein Onkel Heinrich mag ihn nicht aufnehmen!"

„Ja aber, Onkel," fragte Robert verblüfft, „hast Du mir denn nicht gesagt, daß man versöhnlich sein müsse?"

Der alte Herr war nur zu geneigt, das verfänglich werdende Gespräch gewaltsam abzubrechen – durch einen seiner Machtsprüche, gegen die man nicht opponiren durfte. Aber die naive Herzlichkeit, mit der der Kleine fragte, entwaffnete ihn, und er ließ sich zu einem grollenden: „Für gewisse Dinge giebt es keine Verzeihung!" herbei.

So rasch ließ sich Robert freilich nicht abschrecken. Er fragte hartnäckig und unverdrossen weiter.

„Aber doch nur für Bosheiten – hast Du nicht so gesagt? Wenn Jemand ein schlechtes Herz hat, hab' ich mir gedacht; aber der Onkel kann doch nicht schlecht gewesen sein, denn er ist ja gut geworden, und wenn Jemand kommt und uns um Verzeihung bittet, sollen wir unser Herz nicht zu einer Mördergrube machen. So war's doch?"

„Du wirst keck, Junge, – freilich, Du redest so, wie Du's verstehst und da kann man Dir's nicht weiter übel nehmen. Du hältst in Deiner kindlichen Beschränktheit für Eigensinn, was Charakter ist. Ich kann Dir doch unmöglich Rechenschaft über meine Empfindungen ablegen und sie gegen Dich vertheidigen."

Robert sah in diesem Augenblick recht hilflos und entmuthigt aus. Dennoch wagte er noch eine Frage:

„Aber, Onkel, gilt denn das, was Du mir vor einer Stunde gesagt hast, nur für Kinder, nicht auch für die großen Leute?"

Der alte Herr konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Du wirst mir am Ende noch beweisen, daß das zerstörte Lebensglück zweier Menschen auch nicht mehr zu bedeuten habe, als ein abgebrochener Zinnsoldatenkopf, als ein zerstörtes Graspferdhäuschen und eine zertretene Raupe."

Die Tante hatte bisher geschwiegen, nur ihr Blick hatte gerührt auf dem erhitzten Knabengesichtchen geruht. Nun aber sagte sie ernst:

„Und wenn er das behauptete, könntest Du ihm im Ernst widersprechen? Unsere Schmerzen und Kümmernisse kommen uns freilich neben denen der Kinder unendlich groß und erhaben vor, während wir über sie und ihre Thränen lächeln, aber es fragt sich eben, ob uns, wenn man von uns Vergebung und Vergessen fordert, in Wirklichkeit mehr zugemuthet wird, als ihnen. Robert‘s Gefühl den Beleidigungen des rothen Christian gegenüber war vielleicht ebenso tief und echt, als das Deinige Ferdinand gegenüber es ist, und wenn wir uns auf den Standpunkt des Kindes stellen, war es wohl ebenso berechtigt. Der Kampf, den es ihn kostete, alle erlittene Unbill zu vergessen und seinem kleinen Feinde die Hand zu reichen, war vielleicht ein ebenso harter, als der, den Du in diesem Augenblicke kämpfst. So lange Du ihm nicht beweisen kannst, daß Ferdinand ein schlechter Mensch ist, wird er zwischen Deinen Lehren und Deinem Handeln einen Widerspruch finden und nicht begreifen, warum Du nicht verzeihen willst, während er verziehen hat und seine Tante – gleichfalls von ganzem Herzen verzeiht."

Dieses Stück praktischer Philosophie wirkte freilich auf Robert weit weniger, als auf den Onkel, der nachdenklich den Kopf in die Hand stützte und an der Pfeifenspitze kaute. Robert hatte nur noch einen Trumpf in der Kinderhand. In einem bittenden Tone, den das Herz

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_17.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)