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nur: Brüderchen, Dein Brod ist gebacken und Dich fassen wir schon noch einmal." Aber da hast Du eine andere, saubere Bescheerung – wenn das nicht am Ende eine abgekartete Geschichte ist. Du steckst hoffentlich nicht mit unserem edlen Bruder unter einer Decke? Es würde auch nichts nützen, denn ich lasse mich nicht überrumpeln, und ihr würdet euch sehr irren, wenn ihr darauf bautet, einmal eine plötzliche Weichheit für eine Aussöhnung auszubeuten."

Tante Therese war so verwirrt von diesen dunklen Andeutungen und dieser rauhen Heftigkeit des ja sonst grundgutmüthigen Bruders, daß sie ihn bestürzt und fragend ansah. Diese Bestürzung war so beredtsam, daß sie den alten Herrn sofort überzeugte und entwaffnete und er begütigend sagte:

„Na, sei nicht so außer Dir, Theres – ich seh ja schon, daß Du mir die Suppe nicht eingebrockt hast und von dem ganzen Plan, mich alten Kerl am Christabend, wo man doch etwas weicher gestimmt ist, zu überfallen, kein Wort weißt. Aber da lies einmal das Geschreibsel – viel schöne, hübsch gedrechselte Worte, aber das hilft Alles nichts. So beschwatzt man ein gefühlvolles Mädelchen, aber nicht einen alten, harten Kerl wie mich."

Tante Therese hatte inzwischen den Brief vom Tisch genommen und begann zu lesen, während ihr Bruder, die Arme auf der Brust verschränkt, mit großen, festen Schritten, von denen die Dielen leise knarrten, im Zimmer auf und ab ging; sonst war kein Laut umher zu hören, als das monotone hastige Getick der großen Taschenuhr des alten Herrn, die bereits an der Wand hing, das Prasseln des Holzes im Ofen und das leise Rauschen des Briefblatts, das die Tante in von der heftigen inneren Erregung zitternden Händen hielt. Und draußen fiel der Schnee dichter und dichter und lange verharrten die beiden alten Leute in wortlosem Schweigen. Endlich hob die Tante, als der Bruder bei seinem Aufundabschreiten wieder bei ihr angelangt war, den Blick – eine schwere Thräne hing an ihrer Wimper und bittend sah sie den Erzürnten an. Aber dieser schien eisern bleiben zu wollen. Er murrte:

Na ja, das hätte ich mir denken können – Rührung und Thränen, ohne die geht es halt nicht ab. Auf die Weiberleut' hat er sich eben immer verstanden, der Herr Bruder Ferdinand – und er hat nichts vergessen und verlernt, wie mir scheint."

„Hast Du vergessen, Heinrich? Ich wollte, Du könntest es. Das Geschehene läßt sich doch nicht ungeschehen machen, und willst Du denn nie vergeben, was doch mehr jugendlicher Leichtsinn und Unbesonnenheit war und die Folge eines allzu lebhaften Temperaments, als Böswilligkeit und Verdorbenheit des Characters? So viele Jahre sind darüber hingegangen, und wir sind alt darüber geworden und haben längst angefangen, grau zu werden – soll unser Groll uns am Ende überleben, obgleich Ferdinand ein braver, ordentlicher Mann geworden ist und uns jetzt, sein Unrecht einsehend, die Hand zur Versöhnung bietet und uns von ganzem Herzen um Verzeihung bittet?"

„Er hat sich nicht wie ein Walther gehalten – er hat einen Makel auf unsere fleckenlose Familienehre gebracht – der Vater ist um seinetwillen früher zur Grube gefahren, und wie er mich aus meiner Carrière geworfen und mich um mein Lebensglück geprellt hat, einer verächtlichen und gewissenlosen Eitelkeit zu Liebe, rechnest Du das für nichts, Theres?"

„Das läßt Dich nur Deine Bitterkeit sagen, Heinrich. Du weißt, wie tief ich das Alles empfunden habe, wie leid mir gerade um Dich gewesen ist und wie ich es bewundert habe, daß Du Alles ohne einen Laut der Klage ertrugst und Dich in Dein Schicksal fandest und nur darauf bedacht warst, den Eltern ihren Lebensabend zu verschönern und sie für den Verlust des Sohnes zu entschädigen. Aber Du würdest noch größer vor mir dastehen, wenn Du bewiesest, daß Du auch vergeben und vergessen kannst, wie ich vergeben und vergessen habe. Muß ich Dich erst daran erinnern, daß auch mir der Bruder viele Hoffnungen geknickt und meine Zukunft zerstört hat? Ich möchte nicht, daß wir einander vorrechneten, wer am meisten verloren und gelitten hat."

„Nun ja, das will ich auch nicht bestreiten, Theres, – es war hart für mich, auf die Forstcarrière verzichten zu müssen, an der mein ganzes Herz hing, weil Vater sein ganzes Vermögen opfern mußte, um Ferdinands leichtsinnige Schulden

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_15.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)