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– der fremde Herr genirte ihn doch und schüchterte ihn ein – war man aus dem Walde getreten und das nur noch eine gute Viertelstunde entfernte hochgelegene Schloß ließ seine Fensterreihen in der Mittagssonne blitzen. Der Fremde machte Halt und als der Knabe ihn verwundert ansah, sagte er:

„Nun muß ich umkehren, mein kleiner Freund – sag aber, wie heißt Du denn eigentlich?"

„Robert Wirth, und der Onkel Heinrich Walther und die Tante Therese Walther – aber ich hab' gedacht, Sie kommen mit? der Onkel kommt Mittags nicht heim und ißt beim Förster, und einen Teller Suppe und ein Stück Hasenbraten gibt Ihnen die Tante gern – sie freut sich immer, wenn Gäste kommen, am meisten freilich, wenn sie es schon ein paar Tage vorher weiß – dann gibt es Serviettenkloß und den macht, wie sie sagt, auf der ganzen Welt niemand besser als sie; es wäre auch ihres Vaters und ihres Bruders Ferdinand Leibgericht gewesen."

So, da hast Du also noch einen Onkel?"

Ja, den kenne ich aber nicht, der wohnt in Italien, wo die feuerspeienden Berge sind, oder sonstwo; die Tante kramte einmal in einer alten Kiste und da fiel ihr eine Bleistiftzeichnung in die Hände, die sie lange betrachtete; schließlich kamen ihr Thränen in die Augen und das kann ich nicht sehen. Ich fragte sie nach dem Bilde und da hat sie mir das gesagt und auch, daß sie diesen Bruder wohl nie wiedersehen würde. Mir fiel das ein paar Tage später ein, als ich mit dem Onkel im Holze war und ich fragte ihn nach Onkel Ferdinand und warum er nicht einmal zu uns käme; da machte er aber ein ganz finsteres Gesicht und fragte barsch, wer mir die Dummheiten in den Kopf gesetzt hätte und verbot mir, den Namen wieder zu nennen; solche Dinge zu wissen, sei ich noch viel zu jung und ein richtiger Junge sei auch nie neugierig – das wären nur die Mädchen und denen hielte mans zu Gute, weil es in der Natur läge."

„Der Onkel verwaltet das Gut für den Herrn von Wildenstein?“

Ja, sie sind Schulkameraden und haben immer zusammen gejagt, gefischt und Bäume gepflanzt, und als Herr von Wildenstein das Gut kaufte, bat er den Onkel, es ihm zu verwalten – das könne doch niemand so gut als er, und für ihn wäre es doch auch eine Beschäftigung nach seinem Herzen, wie er sie sich schon oft gewünscht hätte."

„Nun hab schönen Dank, mein Junge – der Onkel wird ja heute doppelt stolz auf Dich sein und wer weiß, was Du Schönes bescheert bekommst. Heute Abend brennt doch ein Baum bei euch?"

„Freilich – Onkel hat selbst eine junge Edeltanne ausgesucht und der Jägerbursche hat sie gestern mit hereingebracht. Der wird übrigens nicht schlecht über die Katze staunen und nun muß er mir auch einen von seinen jungen Dachseln schenken. Denken Sie sich, der nimmt Nachts nicht bloß die alte gute Diana, sondern auch ihre vier Jungen mit ins Bett – es krabbelt und wimmelt nur so unter der Decke."

„Allerdings eine tolle Wirthschaft, aber sage, hast Du Dir denn recht viel gewünscht?"

„So viel, daß der Onkel sagte: „Nun hör' aber bald auf." Einen großen Baukasten; ein Schiff, das ich im Mühlteich schwimmen lassen kann, eine aus Bindfaden geknüpfte Jagdtasche, eine große Naturgeschichte mit Bildern, ein Dutzend Bilderbogen, neue Zeichenvorlagen u.s.w. Die Hauptsache habe ich aber nicht einmal gesagt: einen Muscheltuschkasten möcht ich gern, wie Pfarrers Alfred einen hat, mit Gold- und Silbermuscheln; ich hab aber erst vor einem Vierteljahr einen Täfelchen-Tuschkasten bekommen und wollt ich jetzt schon wieder einen haben, so könnte der Onkel sagen, ich wäre unverschämt. Und das thäte mir sehr leid, denn ich habe ihm schon große Sorge gemacht. Denken Sie sich, ich hatte diesen Sommer zu viel von den kleinen süßen Stachelbeeren mit der pelzigen Haut gegessen und da hab ich die Ruhr bekommen und bin sehr, sehr krank gewesen. In einer Nacht ist der Onkel, um den Arzt zu holen, hinein in die Stadt geritten und hat gleich ein zweites Pferd mitgenommen, damit der Doctor aufsitzen konnte, er hat aber auch die geladenen Pistolen in die Halfter gesteckt, und die Tante hat gemeint, wenn ich todt gewesen wäre,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Onkel und Neffe (Rudolf Lavant) . Druck und Verlag der Genossenschafts-Buchdruckerei., Leipzig 1879, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Onkel_und_Neffe_1_07.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)