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der Abnahme der Zahl der säugenden Mütter kann die große Mortalität der Kinder – wenigstens im Bezirk Rottweil – nicht liegen, da hier nach einer Durchschnittsberechnung aus den 4 Jahren 1868 bis 1871 nur 8,68 Proc. Mütter ihre Kinder nicht gestillt haben.

Der Hauptgrund der Hinfälligkeit der Säuglinge liegt gewiß nur darin, daß man das Wochenbett bisher im allgemeinen nicht als physiologischen, sondern als pathologischen Akt aufgefaßt hat und so die Behandlung der Wöchnerin sowie des Säuglings in seinen ersten Wochen eine naturgesetzwidrige geworden ist.


Kehren wir nach diesem Überblick über die Gesundheitsverhältnisse des Bezirks zur Schilderung der allgemeinen Eigenschaften und Gewohnheiten der Bewohner zurück.

Der Volkscharakter ist im allgemeinen gutartig und zeigt sich in Fleiß, Sparsamkeit, religiösem Sinn, Stetigkeit in der Sitte und Muth.

Die Lebensweise ist einfach in Speise und Trank. Die Speisen sind meistens aus Mehl, Kartoffeln und Kraut mit geräuchertem Schweinefleisch bereitet; neben Bier und neben wenigem Wein wird auch viel Branntwein konsumirt.

Von eigenthümlichen Gebräuchen und Volksbelustigungen,[1] die jedoch im allgemeinen seltener geworden sind, nennen wir: den sogenannten Fackelsonntag, d. i. am ersten Fastensonntag ziehen in einigen Orten die Jünglinge in langen Reihen mit brennenden Fackeln um den Samenösch und sprechen die Worte: „Soma, Soma reg di“ (Samen, Samen rege dich), auch werden nebenbei Gebete gesprochen; alsdann ersteigen die Fackeltragenden irgend einen Berg, und zünden dort große Feuer an; letzteres geschieht auch ohne den vorherigen Umgang um den Samenösch. Von Rottweil aus sieht man solche Feuer auf dem Hohenberg, Plettenberg, Hohenkarpfen, bei Neufra etc. etc. feierlich lodern. Da man von diesem Gebrauch am Funken- oder Fackelsonntag sagt: „dem Samen zünden“, so scheint sich derselbe auf die bevorstehende Sonnenwende, den Frühlingsanfang, auf die Wiedererweckung der erstorbenen Natur zu beziehen.

Die Faßnachtsbelustigungen, bei denen das sog. „Aufsagen“ eine Hauptrolle spielt, und Maskeraden, Vermummungen,


  1. Von hier an vom Verfasser Finanzrath Paulus unter Benützung der von Pfarrer Dr. Glatz gelieferten Beiträge.
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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Rottweil. H. Lindemann, Stuttgart 1875, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OARottweil0102.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)