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Stecken in der Hand. Seine Erscheinung spricht im Ganzen an, da er einen Geruch des Gewerblichen um sich verbreitet. Das weibliche Geschlecht trägt Werktags blaue Röcke, Sommers von Leinwand, Winters von Wolle und ditto Kittel, Sonntags schwarze Gewande mit einer schwarzen, etwas von den Ohren abstehenden Haube, die sie wandelnden, übrigens nicht abschreckenden, Fledermäusen wunderbar ähnlich macht, weiße Strümpfe und niedere, so weit ausgeschnittene Schuhe, daß sie bei schmutzigem Wetter Gefahr laufen, sie zurücklassen zu müssen. Den ledigen Burschen verbleiben der stereotype Marder und die kurzen Beinkleider, während jenseits Gaildorf die langen tuchenen beginnen.

Im südöstlichen Theile des Oberamts, gegen Gmünd und Aalen hat die Mundart einen rhythmischen oder vielmehr höchst unrhythmischen Tonfall, und wenn die Leute von da etwas erzählen, so hört sich’s wie nach den Noten einer schlecht gestimmten Geige. Gerne fängt der Erzähler, wenn er etwas Auffallendes berichten will, mit den Worten an: „Au, hairet!“ Die Tracht ist dieselbe, wie oben, die Sitten wo möglich noch etwas rauher, denn hier ist das eigentliche Hirtenland, und die Kinder-Erziehung ist durch die Entfernung der Schulen, zu welchen man nur über Berge, durch Schluchten auf ungangbaren Wegen gelangt, sehr erschwert, die Viehzucht aber bedeutend, daher junge und alte, zumal die ganz unvermögende Classe, aber auch wohl die Kinder der wohlhabenden, dem Hirtenwerk obliegen, woraus sich die verhältnißmäßig größere Rauhheit der Sitten erklärt.

Je mehr man sich von Süd, Südost und West der Oberamtsstadt nähert, verwischt sich das eigenthümliche Gepräge der Sprache, und weder in ihr selbst, noch über sie hinaus bis gegen Hall hin, ist ein vorherrschender Einfluß des schwäbischen oder fränkischen Dialekts zu erkennen, von welch letzterem sich ein kaum merklicher Faden durch die Sprachweise hindurch zieht, während sie von der Westseite her, wo die Gegend an’s Oberamt Backnang grenzt, auch schon beträchtlich schwäbelt.

In den Dörfern und den zahlreichen Weilern und Höfen dieser Bezirke ist die Atmosphäre außer Harz und Kohlen mit einem Duft von Tannen-Reißach-Holz und Pfählen, wovon ersteres unter den Dünger gehackt wird, in einer Weise geschwängert, daß der sonstige, den sehr breiten und hohen, ziemlich ungeordneten, häufig die Passage erschwerenden Düngerhaufen entströmende Duft einigermaßen absorbirt wird, wogegen die Geruchsnerven des Wanderers, wenn er, Gaildorf im Rücken, sich nordwestlich wendet, von den Dünsten eines Eisenhammers und, wenn er Ödendorf passirt, oder wohl gar stundenlang hinter sich liegen hat, vom Parfume eines Gauls, der zu Gewinnung chemischer Produkte mit Haut und Haar in einer Pfanne schmort, gekitzelt werden. Dort der Wald-, hier der Fabrik-Geruch!

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Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Gaildorf. J. B. Müller’s Verlagshandlung, Stuttgart 1852, Seite 041. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAGaildorf_041.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)