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eigenthümlich war. Mit welcher schonenden Geduld ertrug er nicht lange Zeit manchen Unwürdigen, der ihn in thörigter Anmaßung bitter kränkte! Wie gütig war er stets gegen Alle, denen er vorstand, wenn sie ihre Pflicht thaten, wie nachsichtig selbst gegen die Nachlässigen, Säumigen und Fehlenden! Wie freundlich ließ er sich in der Unterhaltung gegen jeden herab, mit welchem er sprach!

Und diese Unterhaltungen, wie angenehm, wie belehrend, wie anregend waren sie! Eine feine Beobachtungsgabe, eine scharfsinnige Urtheilskraft, ein außerordentliches Gedächtniß, ein heiterer Humor machten ihn eben so geeignet zu einem angenehmen Gesellschafter, wie zu einem gründlichen Lehrer. Oft sprühten aus ihm helle Witzfunken, oft strömte aus seinem Munde eine sinnreiche Anekdote nach der andern, und noch wenige Jahre vor seinem Tode hörte ich ihn heitere Jugendgeschichten aus seinem Leben erzählen, wobei er vor 50 Jahren verfertigte lange Gedichte mit der größten Sicherheit recitirte. Auch die ernsten Geschäfte des Lebens und oft langweilige amtliche Verhandlungen würzte und kürzte er nicht selten durch eingestreute scharfsinnige und witzige Bemerkungen. Er war überhaupt ein Freund geselliger Freuden, und ärgerte sich über den Pedantismus unserer jungen frömmelnden Candidaten, welche das Anschauen einer theatralischen Vorstellung, oder das Erscheinen auf einem Balle, oder ein zeitkürzendes Spiel für die größte Sünde erklären.

Diese Andeutungen lassen schon erkennen, zu welchem theologischen Systeme er sich bekannte. Er war in der That ein erklärter Rationalist, von sehr hellen Ansichten und einer praktischen Religiosität, die mehr handelt als spricht. Klar denken, überall auf den Grund gehen, den Gegenstand der Betrachtung oder Forschung fest ins Auge fassen, war ihm überhaupt immer und überall Bedürfniß: nichts konnte er weniger leiden, als das Nebeln und

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Joachim Leopold Haupt: Das Bild unsers Worbs. Neues Lausitzisches Magazin, Band XII. Görlitz: G. Heinze u. Comp., 1834, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:NLM_1834_Seite_005.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)