Seite:Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde 8.djvu/29

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Eine solche Annahme könnte durch einen weiteren Umstand eine Stütze gewinnen. Hier auf dem Hanfwerder findet sich, wie schon Steusloff (1907) hervorgehoben hat, Holunder (Fleeder) in ungewöhnlicher Menge und Stärke. Die Beobachtung Beyers in seiner wertvollen Arbeit über die wendischen Schwerine in Mecklenburg (1867), daß Flurnamen wie Fleederkuul, Fleederbarg u. a. sich auffallend oft bei wendischen Burgwällen finden, hat sich für ganz Mecklenburg als richtig erwiesen. Und auch im Rethragebiete (bei Rehse und in der Zechower Forst) finden sich diese Namen. Nun hat schon Beyer, dem das starke Vorkommen des Holunders auf dem Rethragebiete noch unbekannt war, eine Nachricht des Miletius herangezogen, daß die Sarmaten einen Gott Putscaetus verehrt hätten, den sie sich unter einem Holunderbaume wohnend dachten und den sie zu bitten pflegten, bei Marcopolus, dem deus magnatum et nobilium, für sie Fürbitte einzulegen. Einen Gott Puschaitis hatten nach derselben Quelle auch die Slaven. Das mecklenburgische Pustekow liegt in der Nähe einer wendischen Kultstätte. Das alles will genauer erforscht sein. Eine eindringende Untersuchung des ganzen Hanfwerders und seiner Umgebung ist jedenfalls ein dringendes Erfordernis.

30. Aber auch das Hinterland von Usadel, die große „Zechow“ genannte Forst, in der schon Masch Rethra gesucht hat, ist angefüllt mit Sagen, die zum Teil in wendische Zeit zurückweisen. Das „schwarze Bruch“ bei Ehrenhof, der Schauplatz einer Vision, die lange „Krämerkuul“, die noch vor sechzig Jahren nach den Angaben eines zuverlässigen Gewährsmannes durch Grabanlagen und botanische Merkwürdigkeiten ausgezeichnet war (hier war nach der Volkssage der eigentliche „Aufenthaltsort“ der Wenden), die Umgebung von „Rodenkrog“, in der ein goldener Hahn die Leute schreckt, der „Keulenberg“ mit der sicher alten Sage von der jeden Mittag aus der Erde hervorkommenden menschenkopfartigen Wunderpflanze, die den Arm des christlichen Pastors, der sie fortbannen will, lähmt, u. ä. m., das alles macht mir zur Gewißheit, daß wir es hier in dieser Forst mit der Hauptmasse jenes obenerwähnten heiligen Waldes zu tun haben, und daß auch in diesem Walde sich Kultstätten befunden haben. Auch das nahe Wanzka – noch heute die Stätte eines Marktes – tritt in Flurnamen und Sagen bedeutsam hervor.

31. Ich gewinne eben, je tiefer ich in den Sagenkreis der ganzen Gegend eindringe, immer mehr die feste Überzeugung, daß wir es bei Rethra mit einer ausgedehnten civitas zu tun haben, die eine größere Anzahl von Befestigungsanlagen und auch mehrere Tempelstätten umschlossen hat. Die Grenze des ganzen Gebietes festzustellen, wird, wenn überhaupt, nur mit Hilfe der Sagenforschung gelingen können.

Wie die Zeitungen kürzlich meldeten, hat die Rethra-Kommission erfreulicherweise beschlossen, die Grabungen mit Eifer fortzuführen, sobald die nötigen weiteren Mittel aus der Virchow-Stiftung bewilligt sein werden. Die Kommission wird sich einer ernstlichen Prüfung des Ergebnisses der Sagenforschung nicht länger entziehen können, ohne der Sache zu schaden.[1] Und wir dürfen an der Hoffnung festhalten, daß es vereinter Arbeit gelingen werde, das Problem, das nun schon soviel Kraft in Anspruch genommen hat, in seinem Hauptteile der Lösung zuzuführen.


  1. Unmittelbar nach Absendung dieses Berichtes erhielt ich die Aufforderung, der Rethra-Kommission beizutreten und ihr die von mir gesammelten Sagen vorzulegen.