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(nicht weniger als 15 Orte waren schon für Rethra in Anspruch genommen, Oesten selbst hatte zuerst bei Feldberg gegraben), da schien es mir erwünscht, an Ort und Stelle weiter nachzuforschen und festzustellen, ob nicht doch jene früher gefundenen Sagen auf alter Überlieferung beruhten.

Ein kurzer Vorstoß im Juni 1906 ergab eine überraschend reiche Ausbeute, darunter eine Sage von der Vergrabung des goldenen Gottes der Wenden im „Blankenburger Teich“ bei Prilwitz, deren Mitteilung an die Rethra-Kommission zur Folge hatte, daß diese, ohne weitere Sagenfunde abzuwarten, lediglich auf Grund dieser Sage an die Ausgrabung des Teiches heranging, die auch jetzt wieder fortgeführt werden soll.[1] Schon die Mannigfaltigkeit dieser ersten Ausbeute aber hatte mir gezeigt, daß hier nur planmäßige Arbeit zum Ziele führen könne. Ich stellte daher die Sammelarbeit vorläufig ein, um mich besser rüsten zu können.

Durch eine eingehende Prüfung der älteren Geschichtswerke, der umfangreichen Idolliteratur und der Berichte über die früheren Grabungen suchte ich zunächst Klarheit zu gewinnen, ob und inwieweit die heute umlaufenden Volkssagen auf gelehrtem Wege ins Volk gedrungen sein könnten. Die ganze ältere Literatur gab fast gar keine Ausbeute. Latomus-Steinmetz, um 1600 Rektor in Neubrandenburg, der zuerst Rethra bei Prilwitz sucht, sagt nichts von lebender Überlieferung. Im Idolstreit wird der Volkssage nur in ganz unbestimmten Wendungen Erwähnung getan, obwohl es doch nahe genug gelegen hätte, der dunklen Fundgeschichte der Idole und den Grundlagen der Schatzgräberei des Gideon Sponholtz nachzugehen. Boll hat nur zwei belanglose Sagen über den Bacherswall.

Erst Niederhöffer (1857) bringt mehrere größere Sagen über Rethra, die dann im Auszuge in das Werk von Bartsch, der Eigenes nicht hinzufügt (für das Strelitzer Land fehlten ihm die Sammler fast ganz), in die vielgelesenen Chroniken von Penzlin und Prilwitz, in Lesebücher und Zeitungen übergingen. Zwei dieser Niederhöfferschen Sagen sind echt, wenn auch aufgeputzt, die dritte ist ein willkürliches, aus mehreren echten Bruchstücken zusammengestelltes und mit fremden Zutaten geschmücktes Machwerk: von Heinrich dem Löwen und einem König von Rethra weiß die echte Volkssage nichts.

Daß aus diesen Quellen die von mir bis dahin gefundenen Sagen nicht stammen könnten, war mir klar. So mußte ich zunächst an der Annahme festhalten, die sich mir von vorneherein bei der Lebendigkeit der Einzelzüge aufgedrängt hatte, daß die lebende Überlieferung des Volkes in die Wendenzeit zurückreiche. Das ließ weitere erhebliche Ausbeute erhoffen. Daß sich Sagen sogar aus vorslavischer Zeit im Mecklenburger Volke erhalten haben, hatte ja schon früher der die Volkssage bestätigende Fund des Peckateler Bronzewagens gezeigt.

Ich suchte dann weiter mit der Flurnamenforschung vertraut zu werden und in den „Irrgarten der slavischen Mythologie“ einzudringen. Sammelfahrten endlich in die Umgebung anderer wendischer Kultstätten, so der Burgwälle am Plauer See, bei Krakow und am Malchiner See, gaben mir von dem Charakter heimischer Burgwallsagen ein besseres Bild, als ich es aus Bartsch und den von meinen Mitarbeitern und mir selbst früher gesammelten Sagen gewinnen konnte.


  1. Bisher sind hier nur die Reste eines steinzeitlichen Pfahlbaues aufgedeckt worden.