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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12

15. Jahrh. und eines Passionsspiels des Augsburger Meistersängers Seb. Wild. Im Lauf der Zeit wurde der alte Text stark verzopft und verschnörkelt und endlich durch Ettaler Klosterherren vollends den rhetorischen, opernhaften und schwülstig-allegorischen Jesuitenspielen der damaligen Zeit angenähert, während die Darstellung sich an die reinern Vorbilder der deutschen Maler und Holzschneider des 15. u. 16. Jahrh. anlehnte. Das Ammergauer Spiel entwickelte sich unter reger Teilnahme der gesamten Bevölkerung des Ortes namentlich nach der malerisch-plastischen Seite der Aufführungen hin in ungewöhnlicher Weise und bestand, wie schon erwähnt wurde, selbst den Sturm, welcher in der Zeit des Rheinbundes und unter dem gewaltsam neuernden Regiment des Ministers Montgelas seine Existenz bedrohte. König Max I. gestattete die Fortsetzung nach einer vorgängigen Umarbeitung des Gedichts, welche durch Othmar Weiß (ehemals Benediktiner zu Ettal, gest. 1843 als Pfarrer in Jesenwang) erfolgte, während der Lehrer von Oberammergau, Rochus Dedler, die noch heute zu dem Spiel gehörte Musik komponierte. In die Modernisierung des Textes, der 1850 eine nochmalige Überarbeitung erfuhr durch den geistlichen Rat Daisenberger (gest. 1883, Verfasser einer Schrift über Oberammergau) drangen schwache Nachwirkungen der Humanitätsanschauungen des 18. Jahrh. ein, und die Musik trug einen durchaus eklektischen, weichlichen und opernhaften Charakter. Gleichwohl blieb dem Oberammergauer Passionsspiel durch die den Evangelien unmittelbar entlehnten Szenen, durch die geschlossene Einheit der Darstellung, die wirksame Vorführung von Aufzügen und Volksszenen (namentlich beim Einzug Jesu, bei der Kreuztragung und der Kreuzigung) und die schlichte Kraft seiner malerischen Vorbilder ein bedeutender Eindruck gewahrt; das Spiel wuchs mit seinem Ruf, wenn auch die Gemeinde mit gutem Rechte daran festhielt, niemals andre als ihr angehörige Kräfte an demselben sich beteiligen zu lassen. Die Leitung des gesamten Spiels ist einem Ausschuß anvertraut; die Besetzung der Rollen erfolgt durch diesen, einzelne Rollen vererben sich wie Ehrenämter in gewissen Familien. So bildete sich im Lauf der Zeit ein Stil, eine künstlerische Tradition heraus, welche zu der vollendeten Darstellung der Hauptgestalten, insbesondere der Gestalt Christi, führte, welche die Aufführungen in den letzten Jahrzehnten auszeichnete. Das Theater selbst, eine mächtige Bühne, welche nach herkömmlichem Plan zu den Aufführungen eigens errichtet wird, steht auf einer Wiese vor dem Dorf, und die Matten und Hügel, welche dasselbe umgeben, bilden gleichsam einen letzten großartigen Hintergrund des Ganzen. Der Zuschauerraum steigt amphitheatralisch auf und ist groß genug, um mehrere tausend Menschen zu fassen; die übrige Einrichtung des Theaters bietet der Darstellung nicht minder wesentliche und eigentümliche Vorteile. Das große Podium trägt eine überdachte Innenbühne, welche durch einen Vorhang geschlossen ist, je nach Bedarf durch wechselnde Dekorationen die veränderte Szene anzeigt und zur Vorführung aller der Auftritte dient, die nicht auf den Straßen von Jerusalem vorgehen können. Rechts und links von dieser Mittelbühne, deren Vorhang gleichsam ein Stück der Stadt Jerusalem vorstellt, stehen die mit Balkonen versehenen Häuser des Hohenpriesters und des Pontius Pilatus, und durch offene Thorbogen sieht man in die Straßen Jerusalems hinein, welche wie die Vorderbühne unter freiem Himmel liegen und die überdachte Innenbühne einschließen. Die ganze Anordnung vereinigt so die Vorteile eines stehenden, der Phantasie des Zuschauers sich einprägenden Schauplatzes mit der Mannigfaltigkeit des Szenenwechsels und zeigt sich im Verlauf der Handlung oft in ausgezeichneter Weise benutzt. Die Aufführungen von 1830, 1840 und 1850 trugen den Ruf des Oberammergauer Spiels in die weitesten Kreise; Eduard Devrient lenkte mit seiner Schrift „Das Passionsspiel zu Oberammergau“ (Leipz. 1850) die Aufmerksamkeit auch der Dramaturgen auf das mächtige Ensemble und die erstaunlichen Wirkungen dieser Volks- und Festbühne des Alpendorfs. Seitdem übten die Aufführungen, bei denen je an 550 Darsteller von allen Altersklassen mitwirken, eine beständig steigende Anziehungskraft, und die letzten (1880) wurden von Zehntausenden von Schaulustigen aus dem gesamten Deutschland, aus England und Amerika besucht. Die einzelnen Aufführungen finden regelmäßig an Sonntagen statt, jede währt (mit Unterbrechung von einer Stunde) volle neun Stunden; eine kirchliche Feier geht in der Regel voraus. Die Einnahmen der Ammergauer Spiele (1880: 300,000 Mk.) kommen nach Abzug der Kosten und einer mäßigen Entschädigung an die Darsteller lediglich der Gemeinde, ihrer Kirche und Schule, ihren Stiftungen etc. zu gute.

Über die P. im allgemeinen vgl. Mone, Schauspiele des Mittelalters (Karlsr. 1846, 2 Bde.); A. Pichler, Über das Drama des Mittelalters in Tirol (Innsbr. 1850); K. Hase, Das geistliche Schauspiel (Leipz. 1858); Reidt, Das geistliche Schauspiel des Mittelalters (Frankf. 1868); Wilken, Geschichte der geistlichen Spiele in Deutschland (Götting. 1872); Milchsack, Die Oster- und Passionsspiele (Wolfenb. 1880); Wackernell, Die ältesten P. in Tirol (Wien 1886); über das Oberammergauer Passionsspiel insbesondere noch: Clarus, Das Passionsspiel zu Oberammergau (Münch. 1860); H. Holland, Die Entwickelung des deutschen Theaters im Mittelalter und das Ammergauer Passionsspiel (das. 1861); Dubbers, Das Oberammergauer Passionsspiel (Frankf. 1872); Wyl, Maitage in Oberammergau (3. Aufl., Zürich 1880); Roßmann, Gastfahrten (Leipz. 1880).

Passīv (lat.), leidend, unthätig, im Gegensatz zu aktiv (s. d.); in der Medizin s. v. w. geschwächte Lebenskraft verratend (daher passive Blutung). Im Handelswesen spricht man von dem passiven Stand einer Handlung, wenn sich das, was sie andern schuldet (Passiva), mit dem, was sie besitzt und von andern zu fordern hat (Aktiva), aufhebt oder es übertrifft. Vgl. Passivität.

Passivgeschäfte, s. Aktivgeschäfte.

Passivhandel, s. Aktivhandel.

Passivität (lat.), Zustand des Leidens, der Unthätigkeit; sodann der eigentümliche Zustand einiger Metalle, in welchem sie von verdünnter Salpetersäure nicht angegriffen werden, während sie in ihrem gewöhnlichen Zustand in solcher Säure oxydieren. Diese P. tritt besonders beim Eisen hervor. Dasselbe wird von Salpetersäure, deren spezifisches Gewicht unter 1,35 liegt, lebhaft angegriffen, während es in stärkerer Salpetersäure nicht oxydiert, wohl aber in einen (passiven) Zustand übergeführt wird, in welchem es nun auch schwächerer Salpetersäure widersteht. In denselben Zustand geht Eisendraht über, wenn man ihn an einer Weingeistflamme bis zum Anlaufen erhitzt. Ein auf irgend eine Weise passiv gewordener Eisendraht schützt einen ungeglühten Eisendraht vor dem Angriff einer Salpetersäure von 1,35 spez. Gew., wenn er mit demselben außerhalb der Flüssigkeit in Verbindung steht. Die Rolle des passiven Eisens kann auch

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0764.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2024)